Quantenmechanik
und Probleme ihrer Interpretation

 

Science advances only by making all possible mistakes;
the main thing is to make the mistakes as fast as possible-
and recognize them (Wheeler 1979/1983, p. 205)

1 Das Handwerkszeug der Quantenmechanik *
      1.1 Objekte *
      1.2 Mathematische Beschreibung der Größen und Zusammenhänge in der Quantenmechanik *
      1.3 Besondere Eigenschaften der Quantenobjekte *

2. Die Quantenmechanik ist die Antwort, aber was war die Frage? *
      2.1 Quantelung der Wirkungen als Lösung der Ultraviolettkatastrophe *
      2.2 Die Dialektik von Kontinuierlichem und Diskontinuierlichem als Triebkraft
              und Inhalt der weiteren Theorieentwicklung
*

3 Probleme der Quantentheorie *
      3.1 Welle-Teilchen-Dualismus *
      3.2 Unbestimmtheitsrelation *
      3.3 Komplementarität *
      3.4 Messproblem *
      3.5 Schrödingers Katze *
      3.6 Nichtlokalität *
      3.7 Realismus/Idealismus *

4 Problemlösungsansätze *
      4.1 Kopenhagener Deutung *
           4.1.1 Meßproblem *
            4.1.2 Unbestimmtheitsprinzip *
            4.1.3 Komplementarität *
            4.1.4 Schrödingers Katze - Korrespondenzprinzip *
            4.1.5 Realismus/Idealismus*
      4.2. Quantisierung des Meßgeräts *
      4.3. Everett *
      4.4 Dekohärenzkonzept *
            4.4.1 Meßproblem *
            4.4.2 Schrödingers Katze *
            4.4.3 Realismus/Idealismus *
      4.5 Die Rolle von Wechselwirkungen in der Quantenwelt *

5 Interpretation der Problemlösungen *
      5.1. Verhältnis Welt – Mathematik - Physik *
      5.2 Objekte *

6. Was Philosophen von der Quantentheorie lernen können *

Literatur *

1 Das Handwerkszeug der Quantenmechanik

Ich skizziere dabei zuerst das "Handwerkszeug" der Quantenmechanik und wichtige Voraussetzungen, um die Besonderheit des Quantenmechanischen einordnen zu können. Eine Rückschau auf die Entwicklung der Quantenmechanik erinnert daran, warum diese komplizierte, zu Verwicklungen in der Interpretation führende theoretische Struktur überhaupt eingeführt wurde. Danach folgt die Darlegung der in der Literatur üblicherweise behandelten Probleme, die uns die Interpretation der Quantenmechanik stellt. Danach zeige ich an zwei Interpretationen, der Kopenhagener Deutung und der Dekohärenz-Theorie, welche Möglichkeiten der Analyse der Probleme entwickelt wurden und fasse deren Ergebnisse zusammen.

1.1 Objekte

Worüber sprechen wir in der Naturwissenschaft überhaupt? Didaktisch grobe Vereinfachungen führen oft dazu, dass vergessen wird, dass die Wissenschaft sich ihre Objekte erst schafft. Auch in der klassischen Mechanik wird nicht über Planeten und fallende Äpfel gesprochen, sondern über "Zustände", die in diesem Fall durch (gleichzeitig messbare) Orts- und Impulskoordinaten für den "Massepunkt" in der dreidimensionalen absoluten Raumzeit festgelegt sind. Beispielsweise interessieren uns bei der Untersuchung der gravitativen Wirkung von Himmelskörpern nicht deren äußere Form oder gar ihre chemische Zusammensetzung, sondern "nur" ihre Massen und ihre gegenseitigen Abstände. Die "Körper da draußen" tauchen in unserer Theorie nur als Träger der physikalischen Größe "Masse" auf und wir sprechen über ein idealisiertes Objekt "Massepunkt". Wir sind es aber gewohnt so zu tun, als sprächen wir in der klassischen Physik direkt über die "Körper da draußen" und nicht auch über Idealisierungen. Die klassischen Idealisierungen können wir uns mit etwas Mühe vorstellen (auch wenn sich niemand wirklich einen dimensionslosen Punkt vorstellen kann).

In der Quantenphysik geht es noch weniger um klitzekleine "Sandkörnchen" (Born 1955aa, S. 199) oder "kleine Wirklichkeitsklötzchen" (Ludwig 1979, S. 419, 431), sondern um Quantenzustände, die sich nicht mehr in der vorstellbaren dreidimensionalen Raumzeit befinden, sondern in einem abstrakten mathematischen Raum. Die Quantenzustände werden dargestellt als Vektoren – bezeichnet als |Y > - und enthalten die Gesamtinformation über ein Quantensystem.

Es ist hier unumgänglich geworden zwischen mathematischen Symbolen und der "Welt da draußen" zu unterscheiden.

Die Zusammenhänge in der objektiven Realität lassen sich nicht mit den von der Theorie erfassten mathematischen Strukturen identifizieren... (Röseberg 1981, S. 209).

Physik als Theorie unterscheidet sich von der reinen Mathematik dadurch, dass sie neben dem mathematischen Formalismus ("Syntax") auch eine Bezugnahme auf die Realität enthält.

"Selbstverständlich soll eine physikalische Theorie mehr sein als eine mathematische Theorie: Sie soll zusätzlich etwas über einen Teil der Wirklichkeit aussagen" (Audretsch 2002, S. 25)

Allerdings ist es nicht einfach zu bestimmen, über welchen "Teil der Wirklichkeit" sie etwas aussagt, und was "aussagen" hier bedeutet. Was "bedeuten" die Größen, die in den Grundgleichungen vorkommen?

Abbildung 1: Beziehungen zwischen Dingen, Symbolen und Praxis in der Physik

Wie im Kapitel 2.2 noch genauer beschrieben wird, hatten die "Klassiker der Quantentheorie", Heisenberg, Born, Jordan, Dirac, sowie Schrödinger, Pauli und Bohr zwischen 1925 und 1927 aus vorher zwei unterschiedlichen Theorien - von denen eine die Diskontinuität der Quantenwelt betont (Heisenbergs Matrizenmechanik) und die andere auf Kontinuitäten beruht (Schrödingers Wellenmechanik) - eine Theorie entwickelt, in der beide vorherigen Theorien ineinander "transformiert" werden können (vgl. Neumann 1932, S. 10; auf Grundlage von Dirac 1927 und Jordan 1927). Die darauf aufbauende axiomatisch-deduktive Darstellung der Quantentheorie ermöglicht eine angemessene Verbindung zwischen Messergebnissen und mathematischen Symbolen.

1.2 Mathematische Beschreibung der Größen und Zusammenhänge in der Quantenmechanik

Der Formalismus der Quantentheorie ist analog zum Formalismus der klassischen Mechanik, aufgebaut, bezieht sich allerdings auf andere mathematische Räume und anders definierte Größen mit anderen Eigenschaften. Die Größen zur Beschreibung eines Quantenzustandes unterliegen Vertauschungsregeln, in die das Wirkungsquantum eingeht (vgl. Bohr 1958/1985, S. 96).

Die Größen der Quantenphysik werden nicht nur durch Zahlen oder Vektoren beschrieben. In der Heisenbergschen Matrixdarstellung ist beispielsweise die X-Koordinate das Diagonalglied einer Matrix, deren Nichtdiagonalglieder sich in einer spezifischen Ungenauigkeit äußern (vgl. Heisenberg 1927, S. 196). In einer allgemeineren Darstellung werden die Größen der Quantenmechanik durch Operatoren beschrieben. Was die Größen der Quantenmechanik sind, kann nicht ohne die Theorie selbst bestimmt werden. Wir können nicht einfach aus anderen Theorien bekannte und gewohnte Größen voraussetzen, denn es muss für die Quantenmechanik selbst bestimmt werden, ob eine Größe eine Wirkung hat (d.h. "wirklich ist") und dies kann nur im Rahmen quantenmechanisch bestimmter Wechselwirkungen geschehen. Darauf werden wir noch zurück kommen.

Zur Beschreibung der Mathematik der Quantenwelt und ihrer Größen (Operatoren, Eigenfunktionen, Eigenwerte) zitiere ich eine kurze Zusammenfassung von Schenzle:

Operatoren sind Rechenvorschriften, die, auf eine Funktion angewandt, diese verändern, etwa die Multiplikation von x oder die Differentiation nach x. Jedem Operator ist ein Satz von Funktionen zugeordnet, die sich bei Anwendung des Operators in ihrer funktionalen Form nicht verändern. Am Beispiel des Energieoperators H bedeutet dies: H angewandt auf F reproduziert F bis auf einen konstanten Faktor. Da es unendlich viele Funktionen mit dieser Eigenschaft gibt, unterscheidet man diese durch einen Index n

H F n = En F n, n = 1,2,3...

Die Funktionen F n nennt man Eigenfunktionen. Die Proportionalitätsfaktoren En die Eigenwerte. (Schenzle 1994, S. 10)

Diese Operatoren sind für den Hilbertraum definiert, der sich als Darstellungsraum maßgeblich vom dreidimensionalen Beobachtungsraum unterscheidet (vgl. Röseberg 1984, S. 174). Deshalb können nicht die Operatoren selbst direkt gemessen werden, sondern deren Eigenwerte sind mögliche Messergebnisse. Die oben genannten Zustände werden in der Quantentheorie durch eine komplexwertige Wellenfunktion y beschrieben. Dieses y ist ein spezieller Operator, dessen Eigenwerte als Messgrößen interpretiert werden können und der Operator kann in der Bracket-Schreibweise auch durch den Vektor des Hilbertraumes |y > dargestellt werden. Die Entwicklung der quantenphysikalischen Grundgröße y in der Zeit wird durch eine Formel beschrieben. Dies ist die Schrödingergleichung als Grundgleichung der Quantenmechanik:

                         (1)

Als quantenmechanische Aufgabenstellung ist dann i.a. ein konkreter Hamiltonoperator (Potential) gegeben und gesucht wird die Wellenfunktion y .

Zu messbaren Energiewerten zitiere ich weiter Schenzle:

Während die gemittelte Energie jeden beliebigen Wert annehmen kann, wird der Zeigerausschlag bei jeder Einzelmessung immer nur einen der Energiewerte En anzeigen. Auch bei Kenntnis des Bewegungszustandes vor der Messung ist nicht mit Sicherheit vorherzusagen, welcher der verschiedenen Messwerte En sich ergeben wird. Die Funktion y bestimmt nur die Wahrscheinlichkeit pn mit der der Wert En bei häufiger Wiederholung des Experiments auftreten wird. (Schenzle 1994, S. 10).

1.3 Besondere Eigenschaften der Quantenobjekte

Die zentrale Grundgröße der Quantentheorie ist die Wellenfunktion Y . Was "bedeutet" sie? Schrödinger nahm an, sie sei die Beschreibung der Dichte der Materie. Man könne sich beispielsweise ein Elektron als Wellenpaket vorstellen. Allerdings würden solche Wellenpakete –außer im von Schrödinger berechneten Sonderfall des harmonischen Oszillators - im Laufe der Zeit "zerfließen" (vgl. Heisenberg 1927, S. 185).

Max Born interpretierte dann 1926 die quadrierte Wellenfunktion als Wahrscheinlichkeitsdichte beispielsweise dafür, dass ein Elektron an einem bestimmten Ort gefunden wird, wenn man seine Position ermittelt (Born 1926a, 1926b). Diese Interpretation ist mittlerweile die allgemein anerkannteste, nur wenige Physiker lehnen sie ab (z.B. Argumente dagegen bei Bell 1992).

Im Unterschied zur klassischen Mechanik bezieht sich die Wellenfunktion Y nicht auf konkrete Raumpunkte. Eine weitere erstaunliche Eigenschaft der Wellenfunktion ist, dass ihre (komplexwertigen) Wahrscheinlichkeitsamplituden interferieren, was klassische Wahrscheinlichkeitsamplituden nicht tun (vgl. Schenzle 1994, S. 8; Röseberg 1978, S. 91)

Der Zustand eines Quantenobjekts, dessen Zustand zwei Möglichkeiten j a und j b enthält, kann dargestellt werden als (vereinfachte Schreibweise nach Bomfleur 2001):

                         (2)

"Das System befindet sich weder in dem Zustand j a noch in dem Zustand j b, sondern in einer "echten" Überlagerung aus beiden." (Bomfleur 2001)

Zur Beschreibung der Eigenartigkeit der Quantenwelt werden u.a. folgende Begriffe verwendet:

  • Superposition (für ein System): Beschreibung der Eigenart der Wellenfunktion für Zustände: Nach der Wechselwirkung lässt sich die Wellenfunktion nicht mehr als Produkt der Wellenfunktionen von Objekt und Gerät beschreiben.
  • Verschränkung (für mehrere System) es existiert eine gemeinsame Wellenfunktion für ein aus mehreren Subsystemen bestehendes Gesamtsystem, das bei von Neumann Objekt und Messgerät enthält, und in der Dekohärenztheorie auch die Umgebung einbezieht. Schrödinger beschreibt dies mit den Worten: "Das Ganze ist in einem bestimmten Zustand; die Teile für sich genommen nicht" (Schrödinger 1935, S. 827).
  • Interferenz (Überschneidung): Beschreibung der Eigenart der Wahrscheinlichkeit in der Quantenwelt: Bestimmte Zustandsveränderungen lassen sich nicht isoliert voneinander beschreiben, sondern sie beeinflussen sich gegenseitig (interferieren).
  • Korrelation: Beschreibung des Verhältnisses von Quantenobjekt und Messgerät: Durch die Wechselwirkungen entstanden Korrelationen zwischen Quantenobjekt und Messgerät, die auch nach dem Abschalten der Wechselwirkung weiter bestehen.
  • Kohärenz: Dies bezieht sich auf die Interferenzfähigkeit von Subsystemen im superponierten Zustand.

Das Überlagern der verschiedenen Zustände zeigt nicht nur die Summe der Eigenschaften, sondern völlig neue. Diese Verschränkung begegnet uns in verschiedenen Formen, die als besondere Probleme der Quantentheorie bekannt sind.

Wir können die Eigenart der Quantenzustände auch daran verdeutlichen, dass wir uns erinnern, dass wir in der klassischen Welt i.a. davon ausgehen, dass eine Eigenschaft entweder vorhanden ist oder nicht vorhanden ist. Dies kann als Bit-Information verdeutlicht werden. In der Quantenwelt können wir zwar auch nur solche klassischen Bits (wie in Abbildung 2) messen – die Superposition der Zustände beinhaltet jedoch weitere Kohärenzterme, die in der Abbildung 3 als weitere Punkte auf der Oberfläche einer Kugel (Riemannsche Zahlenkugel) dargestellt sind.

Abbildung 2: Die zwei Zustände eines klassischen Bits: 0 und 1; bzw. "Pfeil oben" und "Pfeil unten". (nach Nielsen 2003, S. 52)

Abbildung 3: Ein Quantenbit (Qubit) mit vielen möglichen Zuständen (Pfeilen), wobei die Zustände 0 und 1 nur zwei der möglichen Zustände sind. Alle anderen Punkte bezeichnen eine Quantensuperposition

2. Die Quantenmechanik ist die Antwort, aber was war die Frage?

Wir sind in der Situation, dass wir bereits wissen, was sich geschichtlich als das Wesentliche der neuen Theorie herausgestellt hat. Deshalb haben wir eine Leitlinie, die uns bei historischen Nachfragen begleitet. Wenn die nichtkommutativen Vertauschungsregeln so wichtig sind und uns in der physikalischen Interpretation große Probleme bereiten, sollten wir uns noch einmal vergewissern, ob es auch ohne sie geht, bzw. was die Wissenschaftler dazu geführt hat, darauf zu kommen.

Grundsätzlich zeigt sich auch in der Entwicklung der Quantenmechanik, was Einstein einst als allgemeines Muster der Theorieentwicklung skizzierte: Bestimmte Fragestellungen aus der Erfahrungswelt lassen bei uns ein neues theoretisches Axiom entstehen. Dieses Axiom führt zu Schlussfolgerungen, die wiederum an den Erfahrungen geprüft werden können.

Abbildung 4: Beziehung zwischen Erfahrungen
und der Bildung und Bestätigung neuer theoretischer Axiome (nach Einstein)

2.1 Quantelung der Wirkungen als Lösung der Ultraviolettkatastrophe

Der Ausgangspunkt war im 19. Jahrhundert die Frage, eine allgemeine Erklärung für die Aussendung von Strahlung durch erwärmte Körper zu finden. Kirchhoff fand für einen Körper, der maximales Absorptions- und Emissionsvermögen hat (ein sog. "schwarzer Körper", eine der üblichen Idealisierungen in der Physik), dass die Strahlung nur von der Temperatur des Körpers, nicht seiner stofflichen Beschaffenheit, und der Wellenlänge der Strahlung abhängt (Kirchhoffscher Satz). Wenn wir danach fragen, wie diese Strahlung entsteht, werden wir zu den Bewegungen der Atome geführt, die näher zu untersuchen sind. Wie entstehen aus diesen Bewegungen die verschiedenen Wellenlängen (das Spektrum)? Mathematisch fragen wir nach der Abhängigkeit des Spektrums der Wärmestrahlung von der Temperatur des Körpers. Es zeigte sich experimentell, dass sich diese Abhängigkeit für den Fall kleiner Wellenlängen von dem großer Wellenlängen unterscheidet. Für das erste wurde das Wiensche Strahlungsgesetz, für das zweite das Rayleighsche Strahlungsgesetz gefunden (mit E: mittlere Energie, n : Strahlungsfrequenz, T: Temperatur):

Für kleine Wellenlängen: E ~ n 3e -hn /kT dv (Wien) (3)

Für große Wellenlängen: E ~ Tn 2dn (Rayleigh) (4)

Bei der Formel für große Wellenlängen (Rayleigh) zeigt es sich, dass mit zunehmender Frequenz (ins Kurzwellige) das Emissionsvermögen immer mehr zunimmt, was als "Ultraviolettkatastrophe" bezeichnet wird. Auch die Existenz zweier verschiedener Formeln für die Theorie der Wärmestrahlung ist natürlich nicht befriedigend.

Max Planck fand 1900 eine Lösung, indem er damals unübliche Überlegungen aus der Thermodynamik einbrachte und darauf kam, dass die Energie der Wärmestrahlung daher rührt, dass die Atome, denen die Wärmeenergie zugeführt wird, Strahlung abgeben, aber nicht kontinuierlich, sondern als diskontinuierliche "Quanten". Die dazu entwickelte Formel vereinigt die Wiensche und Rayleighsche, so dass diese beiden als Grenzfälle für ihre jeweiligen Frequenzbereiche enthalten sind. In dieser Formel ist die Konstante h (Plancksches Wirkungsquantum) enthalten, die die Diskontinuierlichkeit der Strahlungsaussendung darstellt. Mit Hilfe der Planckschen Formel konnten die spezifischen Wärmen von Kristallen theoretisch begründet und (für tiefe Temperaturen) auch entsprechend experimentell bestätigt werden.

Die Plancksche Quantenhypothese wurde 1905 von Einstein auf Licht angewendet. Licht hat nicht nur kontinuierliche Welleneigenschaften (wie Beugung und Interferenz), sondern zeigt Wirkungen eines Impulses (photoelektrischer Effekt) und mit Hilfe des Wirkungsquantums kann dem Impuls die Größe hn /c zugeschrieben werden. Da die spezielle Impulswirkung beim Streuen von Strahlung an Materie (Comptoneffekt 1923) nicht erklärt werden kann, wenn die Strahlung als Wellenphänomen betrachtet wird, zeigt es sich, dass eine Theorie von Bohr, Kramers und Slaters, die im Interesse der "Rettung des Wellenbildes" angenommen hatten, dass dem Energieerhaltungssatz im Strahlungsfeld nur eine statistische Bedeutung zukommt, nicht angemessen ist (vgl. Jacobi 1999). Endgültig wurde die Korpuskeltheorie des Lichts 1925 und 1926 durch Experimente von Bothe und Geiger sowie Compton und Simon 1926 bestätigt. Diese überzeugten schließlich auch Bohr davon, dass die Quantenphänomene letztlich nicht auf nur kontinuierliche Prozesse zurückführbar sein würden.

Diese Dualität von Teilchen- und Wellencharakter wurde später auf andere Materiearten angewandt (de Broglie): Elektronenstrahlung zeigt beispielsweise ebenfalls einen solchen dualen Charakter. Die folgende Tabelle fasst die Experimente zusammen, die jeweils für eine der Charakteristiken sprechen:

Wellenaspekt

(kontinuierlicher Aspekt)

Teilchenaspekt

(diskreter Aspekt)

für:

elektromagnetische Lichttheorie Maxwells (1862),
experimentell bestätigt durch Hertz (1888)

äußerer lichtelektrischer Effekt (Photoeffekt, Hertz, Hallwachs, Lenard 1899)

Licht ("Photonen")

Kristallinterferenzen (Laue, Friedrich, Knipping 1912)

Versuch von Bothe (1926)

Comptoneffekt (1923)

Röntgenstrahlen

Interferenzen an Kristallen bei streifendem Einfall (Andrade, Rutherford 1914)

radioaktiver Zerfall als statistischer Prozeß

g -Strahlen

bei Protonen-, Neutronen, H2-Molekül- und Helium-.Atomstrahlen nachgewiesen.

Röntgenstrahlinterferenzen an Kristallen,

Bahnnachweis in Wilsonscher Nebelkammer

Atome, Moleküle, Ionen (und damit Atomkerne)

Nachweis von Interferenz an Elektronenstrahlen (Davisson, Germer 1927),

Elektronenbeugung (Laue-Diagramm)

besitzen diskrete Ladung (Millikanscher Öltropfenversuch);

Kathodenstrahlexperimente: Elektronen genügen klassischer Mechanik

Elektronen

Tabelle 1: Nachweise des Wellen- bzw. Teilchenaspektes bei allen Materieformen

Es wurde klar, dass der Welle-Teilchen-Dualismus nicht zugunsten eines Konzepts entschieden werden könnten. Zu Beginn waren die bedeutendsten Physiker noch darin unterschiedlicher Meinung, ob Licht Welle oder Teilchen sei. Bohr und Planck hielten beispielsweise erst noch an der Wellennatur des Lichts fest, während Einsteins Teilchenkonzept, das auch Sommerfeld vertrat, sich durch die Entdeckung des Compton-Effekts bewies.

Eine andere Frage war bisher ungelöst: 1911 hatte Rutherford ein Atommodell entwickelt, das die Elektronen im Atom mit den Planeten im Sonnensystem verglich. Allerdings gab es dabei ein Problem: Ein sich um den Atomkern Elektron müsste nach der Elektrodynamik ständig Strahlung aussenden, dabei Energie verlieren, und dadurch zur Auflösung der Atomstruktur führen.

Niels Bohr entwickelte auf dieser Grundlage 1913 ein Atommodell, in dem Elektronen sich um einen positiven Atomkern bewegen, aber nicht in beliebigen "Entfernungen", wie das bei Planeten in einem Sonnensystem ist, sondern nur in bestimmten "Bahnen", die bestimmten, sich diskontinuierlich voneinander unterscheidenden Energien entsprechen. Dass tatsächlich nur diskrete Energiezustände im Atom auftreten wurde konnte nachgewiesen werden u.a. mit dem Stern-Gerlach-Versuch und durch Elektronenstoßversuche durch Franck und Hertz. Auch die Tatsache, dass nur bestimmte Frequenzen in den Emissionsspektren – entsprechend dem Ritzschen Kombinationsgesetz – auftauchten, konnte nun erklärt werden. Auch für viele andere Strahlungs- und Energieaustauschphänomene erwies sich die Quantenvorstellung als sinnvoller Erklärungsansatz (genauer zu diesen experimentellen Nachweisen siehe z.B. Jordan 1929). Auch radioaktive Zerfallsprozesse erwiesen sich als echte quantenhafte Übergänge. Spätestens hier wird klar, dass Naturgesetzlichkeit jetzt nicht mehr unbedingt bedeutet, dass jeder einzelne Prozess einer kontinuierlichen dynamischen Abfolge unterliegt, sondern dass er grundsätzlich statistisch sein kann und nur noch die Wahrscheinlichkeiten naturgesetzlich festgelegt sind (vgl. Jordan 1929, S. 504).

Diese beiden Vorstellungen – Wellen- und Teilchencharakter - und ihre theoretischen Beschreibungen sind nicht unmittelbar vereinbar. Die neuen Vorstellungen stehen im Widerspruch zur klassischen Mechanik. Da diese jedoch in ihrem Bereich gut gesichert ist, sollten alle Gleichungen und eine Theorie, welche die neuen Phänomene beschreibt, im Grenzfall (beispielsweise für große Quantenzahlen) in die klassische Beschreibung übergehen. Dieses Korrespondenzprinzip half einige Zeit erfolgreich dabei, Formeln für die neuen Erscheinungen zu "erraten" (Bohr 1954, S. 195). Dieser Zustand ist unbefriedigend, es muss versucht werden, auch eine theoretisch schlüssige Beschreibung zu finden. Zuerst wurde versucht, das Wirkungsquantum in die klassische Theorie zu integrieren, aber all diese Versuche scheiterten.

… so blieb doch die Frage nach der Rolle, welche diese neue Konstante bei dem gesetzlichen Ablauf der physikalischen Vorgänge spielt, noch vollständig ungeklärt. Darum bemühte ich mich alsbald, das Wirkungsquantum h irgendwie in den Rahmen der klassischen Physik einzuspannen. Aber allen solchen Versuchen gegenüber erwies sich diese Größe als sperrig und widerspenstig. (Planck 1948/1967, S. 29)

Offensichtlich wurde dieses Problem bei der ersten Solvay-Konferenz 1911 in Brüssel zum Thema "Strahlungstheorie und Quant".

Bis hierher war ein wesentlicher Schritt, widersprüchliche Erscheinungen in der Erfahrung durch ein neues Axiom zu erfassen und aus diesen Schlussfolgerungen abzuleiten, die wiederum mit der Erfahrung verglichen werden konnten, bereits getan.

Abbildung 5: Erfahrungsquellen und Bestätigungen der Quantenhypothese

Fragen aus den Erfahrungen und jeweils früher entwickelte Konzepte führen zu neuen Schlussfolgerungen, die letztlich darauf hinauslaufen, dass eine grundsätzliche theoretische Neuorientierung erfolgen muss.

Abbildung 6: Zusammenhänge in der ersten Phase der Entwicklung der Quantentheorie

Neue Erfahrungen widersprechen alten Beschreibungen – dieser Widerspruch führt aber in solchen Phasen der Theorieentwicklung nicht dazu, dass eine Seite des Widerspruchs einfach nur als falsch nachzuweisen wäre ("Falsifikation"), sondern eine neu zu entwickelnde Theorie wird Momente beider widersprüchlichen Seiten in sich enthalten. Röseberg nennt solche Widersprüche in der Theorieentwicklung "Problemantinomien" (vgl. Röseberg 1984, S. 65ff) - sie sind nicht identisch mit objektiven Widersprüchen, beruhen aber auf ihnen und lassen sich deshalb aus der Theorieentwicklung nicht wegdenken oder wegwünschen. Sie zeigen sich zuerst durchaus als logische Widersprüche – aber alle Versuche, eine Seite des Widerspruchs zu negieren oder einfach in die andere zu integrieren, werden versucht und erweisen sich als unzulänglich. Es kommt nur darauf an, diese unzulänglichen Versuche zu machen und sie schnell in ihrer Unzulänglichkeit zu erkennen, wie Wheeler (im zu Beginn genannten Zitat) es fordert...

Das Bohrsche Atommodell stieß einerseits auf großen Widerstand, wurde andererseits von Sommerfeld mathematisch vervollkommnet. Um 1915 entstand die Hoffnung, mittels einer nicht in der Klassischen Mechanik einführbaren Quantisierungsbedingung letztlich doch alle atomaren Effekte klassisch erklären zu können. Planck, Einstein und Bohr waren begeistert davon. Die Begründung der Quantisierungsbedingungen blieb jedoch noch offen. Außerdem blieben folgende Problemantimonien unverstanden:

  • Man sprach von mechanischen Bahnen der Elektronen, die quantentheoretischen Bedingungen unterliegen, aber für den Übergang zwischen den Bahnen war dieses Konzept nicht anwendbar.
  • Die Emissions- und Absorptionsprozesse der Strahlung sollten Teilchencharakter tragen, die Ausbreitung der Strahlen erfolgt als Wellenprozess.

Sommerfeld betrachtete diese Antinomien und die Unbegründetheit der Quantisierungsbedingungen nicht als grundlegendes Problem, während Bohr davon überzeugt blieb, dass ein weiterer theoretischer Schritt notwendig sein würde (ausführlich siehe in Röseberg 1984, S. 107ff.)..

Abbildung 7: Einzelheiten zur Entwicklung der Quantentheorie
bei der Fortführung des Bohr-Sommerfeldschen Atommodells

Wir wissen heute, dass Bohrs Programm zum Ziel führte; doch damit wurden die Arbeiten von Sommerfeld nicht eindeutig falsifiziert, sondern sie führten zu Ergebnissen "über die makrophysikalisch beobachtbaren Folgen mikroskopischer Prozesse [...], die in der prinzipiell neuen Theorie Bestand hatten" (ebd., S. 109f.).

Es zeigte sich, dass es nicht möglich war, die Problemantimonien durch eine Zurückführung auf klassische Konzepte auszuschließen. Entgegen den Annahmen, sich die Welt weiterhin mechanizistisch denken zu können, bzw. die diskontinuierlichen Größen auf kontinuierliche zurück zu führen, zwingen die Resultate der Wissenschaft zur Anerkennung eines dialektisch widersprüchlichen Verhaltens der Quantenobjekte. Wie können wir dieses in einer mathematisierten Theorieform beschreiben?

Röseberg beschreibt ausführlich, warum es nicht ausreichend war, in der Atomphysik auf eine einheitliche Theorie zu verzichten und statt dessen anzunehmen, "dass unter bestimmten Bedingungen die Newtonsche Mechanik und die Maxwellsche Elektrodynamik gelten, hingegen unter anderen Bedingungen nicht" (Röseberg 1984, S. 92). Gesucht ist nun eine einheitliche Theorie, die keinen logischen Widerspruch mehr enthält, aber der Problemantimonie gerecht wird.

2.2 Die Dialektik von Kontinuierlichem und Diskontinuierlichem als Triebkraft und Inhalt der weiteren Theorieentwicklung

Es war inzwischen nachgewiesen worden, dass klassische Methoden nicht zur Berechnung atomarer Prozesse ausreichen und Berechnungen, die sich auf Quantenpostulate stützen, und das Korrespondenzprinzip zu Rate ziehen, zu Erfolgen kommen, die auch experimentell nachgewiesen werden können (vgl. Heisenberg 1929, S. 49f.). Das Stützen auf unbegründete Postulate und die "Kunst des Erratens der richtigen Formeln" (Bohr 1955, S. 195) ist aber nicht befriedigend. Nach einigen Jahren, in denen Erfahrungen und ein "Gefühl" für die Quantenwelt gesammelt wurden, platzte dann der Knoten und um 1926 entstanden mehrere Theoriekonzeptionen. Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, den genauen historischen Ablauf der Debatten und der wechselseitigen Beeinflussungen nachzuzeichnen.

Grundsätzlich entwickelten sich zwei unterscheidbare Tendenzen. Die eine versuchte so lange wie möglich, die Möglichkeiten der wellenartigen – kontinuierlichen - Beschreibung der Welt beizubehalten – die andere stellte eher klassische Denkweisen und Begriffe in Frage, um die Diskontinuitäten stärker zu berücksichtigen. Interessant ist, dass keine von ihnen absolut "Recht" behielt und die andere falsifiziert worden wäre.

Beginnen wir mit der ersten Tendenz.

Sie begann mit dem Versuch, jedem Teilchen – nicht nur dem Licht - eine Materiewelle zuzuschreiben, deren Ausbreitung als Bewegung des Teilchens verstanden werden könne und die das Teilchen quasi "führt". Dieses Konzept wurde von de Broglie 1923-1924 vorgestellt. Davon ausgehend formulierte kurz darauf Erwin Schrödinger (Schrödinger 1926a) das Bewegungsgesetz für ein Elektron als (Materie-)Wellengleichung. Dabei verwendete er die Beschreibungsform der analytischen klassischen Mechanik, berücksichtigte aber den stofflichen Charakter der de-Broglie-Wellen, in dem er sie als Wellengleichung schrieb. Unter Beachtung der Tatsache, dass auch die geometrische Optik für sehr kleine "Öffnungen" und "Hindernisse" nicht mehr exakt gilt, fand Schrödinger:

Das wirkliche mechanische Geschehen wird in zutreffender Weise erfasst oder abgebildet durch die Wellenvorgänge im q-Raum und nicht durch die Bewegung von Bildpunkten in diesem Raum. Das Studium der Bildpunktbewegung, welches den Gegenstand der klassischen Mechanik bildet, ist nur ein Näherungsverfahren und hat als solches genau dieselbe Berechtigung wie die geometrische oder Strahlenoptik den wirklichen optischen Vorgängen gegenüber. (Schrödinger 1926a, 79 S. 506).

Genau so, wie für Beugungseffekte der Begriff der "Lichtstrahlen" sinnlos wird, so hat es wenig Zweck, den "Begriff der Systembahnen" (ebd., S. 507) aufrecht erhalten zu wollen. Um stationäre Zustände eines Atoms zu bestimmen, muss nach Schrödinger ein Eigenwertproblem gelöst werden. Es zeigt sich, dass "die Wellengruppe [...] nicht nur den ganzen Bahnbereich auf einmal [erfüllt], sondern [sie] reicht nach allen Richtungen noch weit über ihn hinaus" (ebd., S. 508). Die Größe y (r,t)*y (r,t) wird als Dichte der Materie am Ort r zur Zeit t interpretiert und der Schwerpunkt eines Wellenpaketes bewegt sich nach den Gesetzen der klassischen Mechanik. Für große Massen und Geschwindigkeiten wird übrigens die Wellenlänge der Materiewelle so klein (l = h /mv), dass der Wellencharakter des Quantensystems vernachlässigt werden kann und es sich wie ein klassisches Teilchen verhält (Korrespondenz, vgl. Schrödinger 1926a, 79 S. 496). Angewandt auf Elektronen im Atom zeigt sich schon mit diesem Modell die Diskretheit der Energieniveaus von Elektronen und bestätigt damit das Bohrsche Atommodell (vgl. auch Heber, Weber 1969, S. 56ff.).

Andere Physiker schlugen eine andere Richtung ein. Sie "bedeuten einen Versuch, den neuen Tatsachen - statt durch mehr oder weniger künstliche und gezwungene Anpassung der alten gewohnten Begriffe – durch die Schaffung eines neuen, wirklich angemessenen Begriffssystems gerecht zu werden" (Born, Jordan 1925, S. 858). Bohr dachte darüber nach, dass man die Begriffe der klassischen Raumzeit nicht einfach in die atomare Welt übertragen dürfe, "diese verlangt offenbar eine andere Art von Zahlenmannigfaltigkeit als adäquates Bild" (zit. in Röseberg 1984, S. 133). Pauli vermutete 1923, dass "auch die klassischen Bewegungsgesetze modifiziert werden müssen" (zit. in Röseberg 1984, S. 136).

Zum Ausgangspunkt des neuen Theorie wurde das Prinzip, "jene Hoffnung auf eine Beobachtung der bisher unbeobachtbaren Größen (wie Lage, Umlaufszeit eines Elektrons) ganz aufzugeben" (Heisenberg 1925, S. 880). Heisenberg stellte die Aufgabe, eine zur klassischen Mechanik analoge quantentheoretische Mechanik zu entwickeln, "in welcher nur Beziehungen zwischen beobachtbaren Größen vorkommen" (ebd.) . Ihm gelingt dies vorerst nur für Spezialfälle. Dabei verwendet er keine Punkte im Raum als Größen, da diese nicht beobachtbar sind, sondern die beobachtbare Strahlung beschreibenden Größen Frequenz und Amplitude. Im Verlauf der Ableitung wichtiger Formeln erkennt Heisenberg:

Während klassisch x(t) y(t) stets gleich y(t) x(t) sein wird, braucht dies in der Quantentheorie im allgemeinen nicht der Fall zu sein. (Heisenberg 1925, S. 884)

Born und Jordan erkennen kurz darauf, dass die Heisenbergschen Gedanken in einem aus der Mathematik bekannten Formalismus, dem des Rechnens mit Matrizen entspricht (Born, Jordan 1925, S. 859). Für die Multiplikation von Matrizen gilt nicht das Kommutativgesetz. Damit gelingt es nun, die ("kanonischen") Bewegungsgleichungen aufzustellen (mit H= Hamilton-Funktion, welche der Energie entspricht):

                         (5)

Die Quantenbedingung erhält nun die bekannte Form: pq – qp= h/2ip (ebd., S. 871). Durch die von Anfang an eingeführte Analogie mit der klassischen Form der Mechanik kann hier auf ein zusätzliches Korrespondenzprinzip verzichtet werden (Born, Heisenberg, Jordan 1926). Pauli wies schließlich die Anwendbarkeit dieser neuen Theorie auf das Problem des Wasserstoffspektrums nach (Pauli 1926). Von der nicht in allen Fällen anwendbaren Matrizenschreibweise gehen Born und Wiener 1926 zur Verwendung von geeignet definierten linearen Operatoren über (Born, Wiener 1926).

Interessant ist, dass Schrödinger sich zu seiner wellenmechanischen Konzeption durch die Provokation der Aufgabe des raumzeitlichen Form des Denkens herausgefordert sah – aber zu gleichen wichtigen Ergebnisse kam wie z.B. der Aufgabe der klassischen "Elektronenbahnen" (Schrödinger 1926a, 79 S. 508) und anderer Merkmale (Schrödinger 1926b, S. 734). Schrödinger selbst erwartete:

Ich hege die ganz bestimmte Hoffnung, daß diese beiden Vorstöße einander nicht bekämpfen, vielmehr, gerade wegen der außerordentlichen Verschiedenheit des Ausgangspunktes und der Methode, einander ergänzen werden, indem der eine weiterhilft, wo der andere versagt. (Schrödinger 1926a, 79 S. 513)

Kurz darauf sieht sich Schrödinger auch in der Lage, den "inneren Zusammenhang der Heisenbergschen Quantenmechanik und meiner Undulationsmechanik" aufzudecken (Schrödinger 1926b, S. 735). Ausgehend von der partiellen Differantialgleichung seiner Undulationsmechanik kommt er zum Schluss: "Die Lösung des natürlichen Randwertproblems dieser Differentialgleichung ist vollständig äquivalent mit der Auflösung des Heisenbergschen algebraischen Problems" (ebd., S. 737). Dadurch wird allerdings der Heisenbergsche Ansatz auf seine Theorie reduziert. Schrödinger legt auch großen Wert darauf, dass die Matrizenelemente nun wieder als Amplituden der Partialschwingungen des elektrischen Moments des Atoms anschaulich deutbar werden (ebd.). Nicht in einer gegenseitigen Zurückführung, sondern in einer "höheren Einheit" (Heisenberg 1929, S. 493) gelang die Zusammenfassung der Quanten- und der Wellenmechanik in einer sog. Transformationstheorie durch London (1926), Dirac (1927) und Jordan (1927).

Niels Bohr bevorzugt jene Interpretation der neuen Theorie, die auf eine kausale raum-zeitliche Beschreibung atomarer Phänomene verzichtet (Bohr 1928). Dies hängt damit zusammen, "daß jede Beobachtung atomarer Phänomene eine nicht zu vernachlässigende Wechselwirkung mit dem Messungsmittel fordert" (ebd., S. 239). Dem liegt zugrunde eine "durch das Wirkungsquantum symbolisierte begrenzte Teilbarkeit der physikalischen Vorgänge" (Bohr 1929, S. 484). Grundsätzlich sind zwei verschiedene Betrachtungsweisen nicht aufeinander reduzierbar:

Raum-zeitliche Darstellung

(= Idealisation der Beobachtungsmöglichkeiten):

 

Kausale (Impuls-Energie-Erhaltungs-) Darstellung (= Idealisation der Definitionsmöglichkeiten):

Wechselwirkung mit Messmitteln ist
zugelassen

 

Definition des Systemzustandes schließt Beobachtung aus (stationäre Zustände werden betrachtet)

® keine eindeutige Definition des Systems
"an sich" mehr möglich

 

® Begriffe Raum und Zeit verlieren ihren Sinn

Tabelle 2: Das Komplementaritätsprinzip

Dadurch begründet Bohr die durch Heisenberg 1927 gefundene "reziproke Unsicherheit" (Unbestimmtheitsrelation) bei der Messung/Beobachtung bestimmter Größen (die nichtkommutierbaren Symbolen entsprechen) durch die gegenseitige Einschränkung der Definierbarkeit (Bohr 1928., S. 249). Auch das von Heisenberg benutzte "Beobachtbarkeitsprinzip" wird hierdurch unnötig, denn der Verzicht auf raum-zeitliche Beschreibung wird hier tiefer begründet (vgl. ebd., S. 251).

Es kann auch nicht mehr gehofft werden, dass vielleicht doch de Broglies oder Schrödingers Vorstellungen von Teilchen als "Wellenpaketen" angemessen sind. Quantitative Untersuchungen von Kristallinterferenzen von de-Broglie-Wellen zeigten, dass "der Welle selbst [...] also in keiner Weise anzusehen [ist], dass und wo sie diskrete Teilchen in sich enthält; damit erweist sich ein rein statistischer Zusammenhang von Welle und Corpuscel als einzige durch das Experiment zugelassene Möglichkeit" (Jordan 1929, S. 506).

Max Born zeigte auch theoretisch, dass ein "materielles" Wellenpaket zerfließen würde. Er schlug dagegen ein Konzept für Wellen vor, nach welchem die Wellen die Wahrscheinlichkeiten für den Aufenthalt eines Teilchens an einem bestimmten Ort bestimmen sollen.

Dies führte jedoch nicht zur "Falsifikation" des Wellenansatzes, sondern zu seiner Veränderung. Der Nachteil des vorherigen Wellenkonzepts wurde durch Max Born dadurch aufgehoben, dass er die Größe |Y |2 bei Stoßprozessen als Wahrscheinlichkeit für eine bestimmte Streurichtung interpretierte (Born 1926a, S. 865). Born schlägt vor "in der Quantenmechanik eine Verschmelzung von Mechanik und Statistik zu sehen "Born 1926b, S. 167).

Die neue Mechanik beantwortet nicht, wie die alte, die Frage: "wie bewegt sich ein Teilchen", sondern die Frage: "wie wahrscheinlich ist es, daß sich ein Teilchen in gegebener Weise bewegt". (Born 1926b, S. 167)

Das Problem mit dieser Wahrscheinlichkeit wird uns noch länger beschäftigen. Heber und Weber äußern dazu:

Außerdem sind wir der Meinung, dass der statistische Charakter der Quantenmechanik vor allem daher rührt, dass man doch wieder den Teilchenbegriff der klassischen Mechanik einführt, sobald man die übliche Deutung annimmt. Die Materie besteht aber eben nicht aus Teilchen im Sinne der klassischen Mechanik, sondern aus Partikeln, die Teilchen- und Welleneigenschaften in sich vereinen. (Heber, Weber 1969, S. 73; Hervorh. i. Orig.)

Wenn wir wieder die Informationsdarstellung nach Nielsen (2003) verwenden, so zeigt sich der Informationsgehalt eines Qubits wahrscheinlichkeitsabhängig. Als Messresultat können wir nur klassische Bits 0 oder 1 erhalten. Die Wahrscheinlichkeit des tatsächlichen Messwert wird nun abhängig von der "geographische Breite" unseres Zustands.

Abbildung 8: Informationen im Qubit

Born betonte auch später, dass es genau jene Deutung der Wahrscheinlichkeitsdichte als Quadrat der Wahrscheinlichkeitsamplitude ist, die "eine Revision des Begriffs der physikalischen Realität" (Born 1955b, S. 53) erzwingt.

Spannend wird es vor allem, wenn sich zwei vorher voneinander unabhängige Wellenfelder Y 1 und Y 2 überlagern. Ihnen entsprechen die Wahrscheinlichkeitsdichten P1 = |Y 1|2 und P2 = |Y 2|2. Für die neue Wellenfunktion Y = Y 1+Y 2 gilt die Wahrscheinlichkeitsdichte:

P = |Y |2 = |Y 1|2 + |Y 2|2 + Y 1Y 2* + Y 1*Y 2. (6)

Die Interferenzterme Y 1Y 2* und Y 1*Y 2.unterscheiden diese Größe von den aus der klassischen Theorie bekannten Additionen von Wahrscheinlichkeiten. Nur für unendlich langsame Wechselwirkungen (der "adiabatische Grenzfall") verschwinden diese Terme und die klassische Theorie ergibt sich als Annäherung (Born 1926b, S. 178).

Zwischen 1922 und 1924 hatten sich die Physiker an den Gedanken gewöhnt, sich von den mechanischen Vorstellungen zu verabschieden. Wie bereits erwähnt, sollte das Beobachtbarkeitsprinzip eine Brücke zu einer neuen Vorstellung bilden. Der Begriff einer Elektronenbahn wurde vermieden, der Gedanke eines Elektronenspins – der kein klassisches Analogon besitzt, aber Beobachtungen erklären kann - entwickelt. Pauli betonte, dass Energie- und Impulswerte stationärer Zustände etwas viel Realeres seien als "Bahnen" und schrieb dazu:

Das (noch unerreichte) Ziel muß sein, diese und alle anderen physikalisch realen, beobachtbaren Eigenschaften der stationären Zustände aus den (ganzen) Quantenzahlen und quantentheoretischen Gesetzen zu deduzieren. Wir dürfen aber nicht die Atome in die Fesseln unserer Vorurteile schlagen wollen (zu denen nach meiner Meinung auch die Annahme der Existenz von Elektronenbahnen im Sinne der gewöhnlichen Kinematik gehört), sondern wir müssen umgekehrt unsere Begriffe der Erfahrung anpassen. (Pauli 1924, zit. in Röseberg 1984, S. 142.

Abbildung 9: Die Dynamik der Quantentheorieentwicklung

3 Probleme der Quantentheorie

3.1 Welle-Teilchen-Dualismus

Licht- und Elektronenstrahlen zeigen bei bestimmten Experimenten erstaunliche Eigenschaften. Einerseits zeigt beispielsweise Licht an Gittern Erscheinungen (Beugung), die typisch für Wellen sind, andererseits zeigt der lichtelektrische Effekt, dass Licht auch als Teilchenstrom zu denken ist (Einsteins Lichtquantenhypothese). Bei der Ermittlung der Energieschwankungen eines Strahlungsfeldes erhalten wir einen Term, der die Lichtquantenenergie anzeigt und additiv einen weiteren Term, der die Energie auf die Eigenschwingungen der Wellenbewegung verteilt (Heber, Weber 1969, S. 42).

Als Beispiel für diese eigenartige Dualität der Eigenschaften wird i.a. das Doppelspaltexperiment herangezogen. Zuerst werden dabei werden Lichtstrahlen oder, wie im Abbildungsfall ein Elektronenstrahl zuerst durch einen Spalt gelassen (beispielsweise durch den roten Spalt 1 beziehungsweise den blauen Spalt 2 in der Abbildung 11).

Abbildung 10: Apparatur für Welle-Teilchen-Dualismus (aus Bohr 1949/1983, S. 27)

Dabei zeigt sich mit einem Detektor eine räumliche Verteilung entsprechend der roten Kurve 1 hinter dem Spalt 1 beziehungsweise der blauen Kurve 2 hinter dem Spalt 2. Diese Verteilung spricht für den Teilchencharakter des Lichts bzw. der Elektronen. Werden jedoch beide Spalte geöffnet, ergibt sich als Ergebnis nicht die Summe der beiden Verteilungen sondern ein Interferenzmuster, welches dafür spricht, das Licht bzw. die Elektronen als Wellenphänomen zu betrachten. Neuerdings konnte nachgewiesen werden, dass solch ein Interferenzmuster auch dann entsteht, wenn nur ein Quantenobjekt emittiert und empfangen wurde.

Abbildung 11: Zum Wellen-Teilchen-Dualismus für Elektronen (aus Oertzen 2002)

Die Vorstellung des Dualismus von Welle und Teilchen ermöglicht es noch, sich Quantenobjekte als Zustände im gewohnten dreidimensionalen Raum vorzustellen. Das Problem war 1905 mit Einsteins Lichtquantentheorie entstanden – und bereits 1913 erkannte Bohr, dass es einen grundsätzlichen Bruch mit der klassischen Vorstellung geben muss, wobei eine neue Theorie die klassische nur als Grenzfall enthalten soll.

Da wir heute wissen, dass alle lokalisierten Raumvorstellungen für Quantenobjekte unangemessen sind, verliert der Welle-Teilchen-Dualismus an Bedeutung, er spielt höchstens historisch oder zur Verdeutlichung der Interpretationsprobleme Rolle. Im Folgenden wird er uns nochmals als "anschaulicher" Spezialfall des Komplementaritätsprinzips begegnen.

32 Unbestimmtheitsrelation

Schon das eben diskutierte Verhalten von Quantenobjekten zeigt, dass ihnen nicht problemlos eine "Bewegungsbahn" zugeschrieben werden kann. Andererseits macht es durchaus auch Sinn, von ihrer "Ortskoordinate" zu sprechen. Der Ort eines Elektrons im Atom ist nicht genau festzulegen – in der Wilsonkammer kann die "Bahn" eines Elektrons jedoch sichtbar gemacht werden. Was wir beobachten können, hängt von unserer Präparation des Experiments ab. Vereinfacht ausgesprochen zeigt sich: Wenn wir die Ortskoordinate (q) immer genauer messen, wird dabei gleichzeitig der Impuls (p) immer "unschärfer" und umgekehrt. Heisenberg schildert die Situation für die Ortsmessung eines Elektrons. Wenn wir das Elektron unter einem Mikroskop betrachten wollen, müssen wir Licht darauf lenken. Das Licht wird jedoch durch seine Teilcheneffekte auf das Elektron einwirken, es in Bewegung versetzen und dadurch seinen Impuls verändern (Heisenberg 1927, S. 175). Eine gleichzeitige, beliebig genaue Messung von Ort und Impuls eines Quantenobjektes ist nicht möglich. Dies drückt sich in der sog. Heisenbergschen "Unsicherheitsrelation" aus:

                         (7)

Diese Relation gilt für jeweils zwei physikalische Größen, die keine gemeinsame Eigenfunktionen besitzen.

Fick formuliert diese Unschärferelation mit den Worten:

Der Umstand, dass die Messung einer physikalischen Größe die durch frühere Messungen gewonnenen Kenntnisse anderer Größen illusorisch machen kann, bedeutet, dass für die gleichzeitige Bestimmung gewisser Größen eine endliche Genauigkeitsgrenze existiert, die nicht unterschritten werden kann. (Fick 1981, S. 153)

Wolfgang Pauli formuliert diese Tatsache noch drastischer:

Man kann die Welt mit dem p-Auge und m[a]n kann sie mit dem q-Auge ansehen, aber wenn man beide Augen zugleich aufmachen will, dann wird man irre. (zit. in Röseberg 1984, S. 180)

Manchmal wird zur Erläuterung geschildert, dass es eine ähnliche Relation in der klassischen Physik gibt, beispielsweise zwischen der Ortskoordinate und der Wellenzahl/Schwingungsfrequenz. Es ist nicht möglich, die Schwingungsfrequenz eines Pendels zu einem gegebenen Zeitpunkt zu bestimmen, weil für die Ermittlung der Frequenz mehrere Pendelschläge gebraucht werden. Für kräftefreie Materiewellen können Ort und Geschwindigkeit nicht gleichzeitig beliebig genau bestimmt werden. Allerdings bezieht sich die Unbestimmtheit hier auf gleichzeitig definierbare und real vorkommende Größen.

Dies ist in der Unbestimmtheitsrelation anders. Wir können hier nicht zuerst beobachtbare Größen festlegen und dann eine Theorie über sie machen – sondern die Theorie der Quantenobjekte zeigt uns, welche Eigenschaften den Quantenobjekten in welchen Beziehungen zukommen. Mathematisch zeigt sich dies dran, dass nichtkommutative Größen der Quantenmechanik nicht beide gleichzeitig definierbar und beobachtbar sind. Beispielsweise sind Ort und Impuls "prinzipiell beobachtbar, aber sie sind prinzipiell nicht zugleich beobachtbar" (v. Weizsäcker 1985/1988, S. 501-502).

Auch das eben geschilderte Beispiel von Heisenberg beruht nicht darauf, dass das Elektron "eigentlich" einen genau definierten Ort und Impuls habe, die nur durch die Beobachtung "gestört" würden – sondern Heisenberg geht davon aus, dass zuerst definiert werden muss, was "Position des Objekts" heißt. Was es heißt kann nur verstanden werden, wenn die Art und Weise der Messung selbst mit bestimmt ist (messtheoretische Voraussetzung).

3.3 Komplementarität

Während das Unbestimmtheitsprinzip von Heisenberg erkannt worden war, hatte Bohr, mit dem Heisenberg sich im Jahr 1926 noch intensiv auseinander setzte, ein anderes Prinzip entwickelt, das Komplementaritätsprinzip (Bohr 1928).

Später wurde deutlich, dass man das Unbestimmtheitsprinzip als einen Spezialfall des Komplementaritätsprinzips betrachten kann. Schon Heisenberg leitete eine Unbestimmtheitsrelation auch für Energie und Zeit ab.

Es zeigt sich hier sehr deutlich, dass eine Theorie nicht einfach auf Beobachtungen aufgebaut werden kann, sondern die Theorie selbst mit bestimmt, was beobachtbar ist.

Bohr erkannte, dass die Komplikation im Verständnis vor allem daher rührt, dass wir versuchen, die Quantenwelt mit klassischen Begriffen zu beschreiben. Quantenprozesse (zumindest inneratomare) lassen sich überhaupt nicht mit klassischen Begriffen angemessen beschreiben und zusätzlich müssen bei Messungen von solchen Objekten die Wechselwirkungen mit dem als klassisch angenommenen Messgerät berücksichtigt werden. Sobald wir mit klassischen Begriffen über Eigenschaften von Quantenobjekten sprechen, reicht eine Darstellungsform ("Welle" oder "Teilchen") nicht aus, wir müssen zueinander komplementäre Darstellungsformen zusammen verwenden, um den Quanteneigenschaften gerecht zu werden.

In der Tat handelt es sich hier nicht um einander widersprechende, sondern um komplementäre Auffassungen der Erscheinungen, die erst zusammen eine naturgemäße Verallgemeinerung der Klassischen Beschreibungsweise darbieten. (Bohr 1928, S. 240)

In fact, here again we are not dealing with contradictory but with complementary pictures of the phenomena, which only together offer a natural generalization of the classical mode of description. (Bohr 1928/1983, p. 91)

3.4 Messproblem

Messen bedeutet, ein Objekt mit Hilfe eines Messgerätes zu untersuchen. In der klassischen Physik können die Versuchsbedingungen so gestaltet werden, dass nur die beabsichtigte Beeinflussung des Messgerätes durch das Objekt zur Ermittlung einer Objekteigenschaft vor sich geht und alle anderen Einwirkungen und störende Rückwirkungen des Geräts aufs Objekt sowie Umwelteinflüsse weitestgehend reduziert werden.

Bei Quantenobjekten scheint das Messgerät das Objekt immer so zu "stören", dass die Eigenschaften des "eigentlichen" Objekts nicht mehr "ungestört" zu untersuchen sind.

Dabei ist die Situation noch komplexer. Für das zeitliche Verhalten der Quantenobjekte gilt die Schrödingergleichung. Erst wenn wir messen, löst sich die Verschränkung der Quantenzustände auf (siehe genauer unten). Diese Auflösung ist aber nicht selbst in der Schrödingergleichung beschreibbar, was vor allem den Grund hat, dass die Schrödingergleichung nur für nichtoffene, d.h. isolierte Quantenobjekte gültig ist, und die Beeinflussung (zumindest) beim Messen nicht mehr wie in der klassischen Welt vernachlässigbar ist.

3.5 Schrödingers Katze

Diese Fragestellung ist nicht nur wichtig, um sich die Merkwürdigkeit der Quantenwelt (einer "Quantenkatze") vor Augen zu führen, sondern sie erkundigt nach dem Übergang von der Quanten- zu unserer klassischen Welt. Wenn es so ist, dass sich die Quanten so merkwürdig verhalten, dass sie klassische Eigenschaften nicht besitzen – wie entstehen dann diese klassischen Eigenschaften für klassische Objekte? Jedes klassische Objekt besteht aus Quantenobjekten. Wenn die Quantenobjekte so "unfassbar" sind, wodurch werden sie beim "Größerwerden" fassbar? Gibt es einen qualitativen Einschnitt, der nicht begreifbar ist? Oder gibt es einen Weg von der Welt der Quanten in die klassische Welt? Wie ist die Welt "wirklich"? Klassisch oder "quantisch"?

Während diese Fragen bis vor einigen Jahren eher spekulative Fragen waren, die die Physiker bei ihren Untersuchungen nicht unbedingt interessieren mussten, kommen die Experimentalphysiker inzwischen immer mehr in Bereiche, in denen sie sich genau in den Übergängen zwischen Mikro- und Makrowelt aufhalten (vgl. Zurek 1991). Bei C60-Molekülen wurde beispielsweise Materialinterferenz festgestellt (Strunz, Alber, Haake 2002, S. 47). Quantenfeffekte sind wesentlich bei der 1911 entdeckten Supraleitung und der 1938 entdeckten Superfluidität sowie bei der Erzeugung des Bose-Einstein-Kondensats 1995 (vgl. Maier 2003). Statt zwei getrennter Theorien (einer Mikrowelttheorie und einer davon grundsätzlich verschiedenen Makrotheorie) brauchen sie eine einheitliche Beschreibung und Begründung der Differenzierung der beiden Bereiche (vgl. Joos 2002, S. 170).

Anschaulich wurde diese Problemstellung von Schrödinger (1935) in einem Beispiel verdeutlicht:

"Man kann auch ganz burleske Fälle konstruieren. Eine Katze wird in eine Stahlkammer gesperrt, zusammen mit folgender Höllenmaschine (die man gegen den direkten Zugriff der Katze schützen muß): in einem Geigerschen Zählrohr befindet sich eine winzige Menge radioaktiver Substanz, so wenig, dass im Lauf einer Stunde vielleicht eines von den Atomen zerfällt, ebenso wahrscheinlich aber auch keines; geschieht es, so spricht das Zählrohr an und betätigt über ein Relais ein Hämmerchen, das ein Kölbchen mit Blausäure zertrümmert. Hat man dieses ganze System eine Stunde lang sich selbst überlassen, so wird man sich sagen, dass die Katze noch lebt, wenn inzwischen kein Atom zerfallen ist. Der erste Atomzerfall würde sie vergiftet haben. Die Y -Funktion des ganzen Systems würde das so zum Ausdruck bringen, dass in ihr die lebende und die tote Katze zu gleichen Teilen gemischt oder verschmiert sind" (Schrödinger 1935, S. 812)

Bisher wurde der Übergang von der Quanten- zur klassischen Welt zum Beispiel durch das Ehrenfestsche Theorem plausibel gemacht (siehe z.B. Heber, Weber 1969, S. 61f). Damit kann nachgewiesen werden, dass sich der Schwerpunkt eines beliebigen Wellenpaketes nach den Gesetzen der klassischen Mechanik bewegt. Nicht erklärt werden kann, wieso solche Wellenpakete im atomaren Bereich nicht zerfließen (ebd., S. 69).

3.6 Nichtlokalität

Einstein, Podolski und Rosen (EPR) konnten nicht akzeptieren, dass zwei physikalische Größen nicht gleichzeitig exakt messbar sein sollten. Sie meinten, diese Schwierigkeit müsse durch eine notwendige Vervollkomnung der Quantentheorie, z. B. über verborgene Parameter, behoben werden. Ein Gedankenexperiment sollte zur Anerkennung der Unvollständigkeit der quantenmechanischen Beschreibung führen. Das daraus ca. 1935 entstandene EPR-Gedankenexperiment ging davon aus, dass

  1. entweder die Quantenmechanik unvollständig ist oder
  2. dass Operatoren, die zu nichtkommutativen Größen gehören, keine simultane Realität haben können.

Vorausgesetzt wird dieser Alternative, dass jedem Element der physikalischen Realität ein Gegenstück in der Theorie entspricht und das bedeutet nach EPR, dass die physikalische Größe mit Sicherheit vorausgesagt werden kann, ohne das System zu stören (Einstein, Podolsky, Rosen 1935/1983). EPR In einem Gedankenexperiment weisen EPR nun folgendes nach (ebd., S. 140):

Zwei Quantensysteme I und II sind im Zeitraum 0 £ t £ T in Wechselwirkung. Wenn uns der Zustand der Systeme vor dem Zeitpunkt 0 bekannt war, so können wir mit der Schrödingergleichung den Zustand des kombinierten Systems z.B. für t > T errechnen. In welchem Zustand sich entweder I oder II befinden, erfahren wir erst nach einer durch die Messung hervorgerufenen der "Reduktion der Wellenfunktion". Lange nachdem die Wechselwirkung stattgefunden hat (und sich die Teilchen räumlich voneinander entfernt haben), können wir solch eine Messung vornehmen. Es gibt keine reale Wechselwirkung zwischen den Systemen mehr (weil t > T), aber durch eine Messung einer nichtkommutierbaren Größe (z.B. der Impulskoordinate) an einem Teilchen sind wir in der Lage, auch die entsprechende andere Größe an dem anderen System mit Sicherheit und ohne es zu stören, vorher zu sagen. Daraus lässt sich schließen, dass zwei physikalische Größen mit nichtkommutativen Operatoren simultane Realität besitzen können. Wir haben also die Negation von 2) bekommen. Deshalb bleibt nach EPR nur die Alternative 1) als bestätigt zurück.

In der üblichen Diskussion des EPR-Gedankenexperiments wird lang und breit über die Tatsache diskutiert, dass die beiden Zusätnde einem nichttrennbaren System angehören. "Die Mitglieder eine verschränkten Ansammlung von Objekten haben keine individuellen Quantenzustände; nur die Gruppe als ganze besitzt einen wohl definierten Zustand" (Nielse 2003, S. 53). Da diese Mitglieder räumlich weit entfernt sein können wird dies unter dem Namen "Nichtlokalitität" diskutiert. Das verändert unsere Vorstellung von der Realität drastisch.

 

Abbildung 12: Zwei verschränkte Qubits besitzen einen gemeinsamen Quantenzustand. Die Messung eines Zustands legt quasi auch den anderen fest.

Allerdings ist es viel wichtiger, die bei EPR als selbstverständlich vorausgesetzte Realitätsannahme zu hinterfragen. Ist es wirklich so, dass die Realität physikalischer Größen nur dann angenommen werden kann, wenn sie bei der Messung in keiner Weise gestört wird? Bohr verstand die Bedeutung dieser vorausgesetzten Annahme (Bohr 1935a/1983 und 1935b/1983) und entwickelte als Antwort auf diese Herausforderung sein Konzept des "Phänomens" (siehe unten).

Die Frage, ob die Quantentheorie unvollständig ist, oder einer Vervollständigung bedarf, wurde inzwischen weitestgehend geklärt. John Bell gelang fast 30 Jahre nach EPR die Aufstellung einer Ungleichung, mit der sich beide Alternativen prinzipiell unterscheiden lassen (Bell 1964/1983).

Abbildung 13: Experiment zur Bellschen Ungleichung (nach Alber, Freyberger 1999, S. 25)

In der Abbildung 13 stellt Q die Quelle dar, aus der korrelierte Photonen 1 und 2 sich in unterschiedliche Richtungen bewegen. Die Beobachter A und B ermitteln jeweils die Polarisation. Nichtlokalität würde sich darin zeigen, dass durch die gemessene Polarisation an einem Photon auch die Polarisation an dem (entfernten) anderen Photon feststeht.

Es dauerte noch einmal 20 Jahre, bis die experimentellen Möglichkeiten so weit entwickelt waren, dass tatsächlich entsprechende Versuche mit korrelierten Photonen und auch Atomen unternommen wurden, die bestätigten, dass der Formalismus der Quantentheorie vollständig ist, und daß Quantenzustände nichtlokalen Charakter haben. Dieser nichtlokale Charakter zeigt sich in der Nicht-faktorisierbarkeit des korrelierten Zustands.

Böhm beschreibt das Ergebnis folgendermaßen:

Mikrosystemen, die in der "Vergangenheit" in Wechselwirkung gestanden haben, kann auch nach ihrer räumlichen Trennung, sofern keine äußeren Eingriffe stattfinden, kein individueller Zustandsvektor zugeschrieben werden. (Böhm 1988, S. 193).

Der nichtlokale Charakter kann jedoch nicht zur Untermauerung der Annahme von Telepathie, Teleportation oder anderer überlichtschneller Informationsübertragungen verwendet werden. Es geht hier nicht um übliche Eigenschaften klassischer Objekte und eine reale langreichweitige Wechselwirkung, sondern um eine Korrelation der nicht direkt messbaren Zustandsvektoren. Es hat keinen Zweck, die Eigentümlichkeit der Quantenwelt unmittelbar klassisch zu reinterpretieren.

Der Physiker Aspect schreibt dazu:

Selbst bei diesen Experimenten war es nicht möglich, Botschaften oder sinnvolle Informationen schneller als das Licht zu übermitteln, und deshalb werde ich ganz bestimmt nicht zu dem Schluß kommen, daß ein Austausch von Signalen mit Überlichtgeschwindigkeit möglich ist." (Aspect 1983/1996, S. 58)

Letztlich wird ja nicht durch die Ortsmessung an dem einen Teilchen der Ort oder der Impuls des anderen Teilchens direkt physisch verändert (das hatten wir im Zusammenhang mit der Unbestimmtheitsrelation: Es wird nicht wirklich eine ontische "Störung" erzeugt, sondern der die jeweils mit der anfänglichen nichtkommutative Größe ist dann gar nicht für das Objekt definiert).

3.7 Realismus/Idealismus

Die Quantentheorie lässt keine kurzschlüssige Identifizierung physikalischer Objekte mit realen Körpern und physikalischer Größen mit realen Eigenschaften mehr zu (Eine solche Identifizierung wäre auch für die klassische Physik fehlerhaft, vgl. Borzeszkowski, Wahsner 1988). Wenn der Charakter der Idealisierungen und der Abstraktionen in der Klassischen Mechanik unterschätzt wird, erscheint die Quantentheorie als eine völlig neue Art von Theorie – eine, die weniger über die "Welt da draußen" spricht, sondern lediglich nützliche Konventionen enthält. Wenn es mehrere und nicht mehr nur ein mathematisches Abbild der sinnlich wahrnehmbaren Phänomene gibt (entsprechend dem Komplementaritätsprinzip), könne kein realistischer Gehalt der Theorie mehr angenommen werden. Bevor wir im weiteren ausführlicher auf diese und die anderen Problemstellungen eingehen, möchte ich hier einen Schüler der Begründer der Quantenmechanik zitieren:

... ich behaupte auch nicht, daß wir durch unser Nachdenken darüber das Universum hervorbringen, sondern nur, daß wir eine Beschreibung hervorbringen. Wenn die Physik beschreibt, was wir sehen oder sehen könnten und was wir sehen werden, und niemand da ist, der dieses System beobachtet, dann kann es keine Beschreibung davon geben. (Peierls 1986/1993, S. 95)

John A. Wheeler beschrieb das Problem mit folgenden Worten und der folgenden Abbildung (Abb. 14):

Was wir Realität nennen, besteht aus einigen eisernen Pfosten der Beobachtung, die wir ausfüllen mit einer Pappmaché-Konstruktion von Vorstellung und Theorie. (Wheeler 1981/1983, S. 194)

What we call reality consists of a few iron posts of observation between which we fill in by an elaborate papier-maché construction of imagination and theory. (Wheeler 1981/1983, p. 194)

Abbildung 14: Symbolisierte "Realität" nach Wheeler (1981/1983, S. 195)

Max Born setzte sich ausführlich mit der Frage nach der Realitätsgrundlage der Quantenmechanik auseinander. Er betonte die Unterscheidung zwischen den Eigenschaften eines Gegenstandes und den messbaren Größen (Born 1954, S. 54). Messbare Größen sind nicht unmittelbar Eigenschaften der Dinge "an sich", sondern stellen eine Eigenschaft seiner Relation zu anderen Gegenständen dar. Dabei entstehen Projektionen auf ein Bezugssystem, die durch eine Transformationsregel die Projektionen desselben Objekts auf verschiedene Bezugssysteme miteinander verbindet (ebd.). In jedem Stadium der Wissenschaft existieren bestimmte Invarianten, die für jedes Bezugssystem den selben Wert haben. Die Entwicklung der Physik ist dann dadurch gekennzeichnet, "dass eine bestimmte Größe, die man als Eigenschaft eines Gegenstandes betrachtet hatte, in Wirklichkeit nur die Eigenschaft einer Projektion ist" (ebd., S. 55). Größen, die in jeweils älteren Theorien (Klassische Mechanik) als Invarianten erscheinen (wie die Länge und die Masse), erweisen sich in neuen Theorien (Relativitätstheorie) als Projektionen und es zeigen sich neue Invarianten (in unserem Fall Ruhelänge, Ruhemasse, Eigenzeit). Es ist nun nicht zu erwarten, dass wir eines Tages eine Art endgültige Invariante der Materie auffinden würden, denn dann wäre die Erkenntnis abgeschlossen. Aber für Born ergab sich, "dass die Idee der Invariante der Schlüssel zu einem vernunftgemäßen Realitätsbegriff ist" (ebd., S. 56).

Für die Quantenmechanik entwickelte Born analoge Gedanken und er stellte fest, dass seiner Meinung nach die Träger der Invarianten der Ladung, Ruhemasse, Spin etc. "als wirklich anzusehen" (ebd., S. 58). Dass dabei "nicht alle Einzelheiten bekannt" sind, wie simultane Orts- und Impulskoordinaten, ist demnach grundsätzlich nicht entscheidend für die Realitätsannahme. Da die Quantenmechanik Anlass für umfassende Debatten zum Realitätsbegriff war, möchte ich einige Aspekte näher beleuchten.

4 Problemlösungsansätze

In ganz kurzer Zeit entwickelte sich eine Art Standardtheorie und Standardinterpretation für die Quantenmechanik, die sog. Kopenhagener Deutung auf Grundlage der Theorie, welche die Matrizen- und die Wellenmechanik vereinigte. Parallel dazu gab es immer alternative Ansätze, wie die Theorie von Bohm (vgl. Albert 1994, Scheer o.J.), die vor allem die weltanschaulichen revolutionären Änderungen der Kopenhagener Deutung ablehnten. Ausdrücklich gegen diese inzwischen "orthodox" gewordene Standardtheorie und ihre Deutung wendet sich auch die aktuell häufig diskutierte Dekohärenztheorie, die ich hier auch vorstellen möchte.

4.1 Kopenhagener Deutung

Die Kopenhagener Deutung der Quantentheorie bemüht sich um die Klärung der physikalischen Bedeutung der in der Theorie verwendeten Größen. Sie entstand innerhalb ausführlicher und streitbarer Diskussionen zwischen den verschiedenen Schöpfern der Quantentheorie und lässt sich schwer auf eine Standardversion zusammen fassen. Grundlegende Inhalte sind mit der statistischen Interpretation der Wellenfunktion, der Unbestimmtheitsrelation und dem Komplementaritätsprinzip erfasst.

Die Kopenhagener Deutung beruht auf der Darstellung von Operatoren im Hilbertraum (Zusammenfassung nach Röseberg 1984, S. 196-1997):

  1. Der Zustand eines physikalischen Systems wird durch einen Vektor im Hilbert-Raum gegeben (Y ).
  2. Wenn zwei Größen Y 1 und Y 2 Zustände eines Systems sind, dann ist auch ihre lineare Kombination Y = aY 1 + bY 2 ein Zustand dieses Systems.
  3. Die zeitliche Änderung des Zustands eines Systems ist über die Schrödinger-Gleichung bestimmt.
  4. Jeder Messprozess einer beobachtbaren Größe lässt sich als Einwirkung eines entsprechend gewählten hermitischen Operators auf den Zustand des Systems darstellen. [...]
  5. Y ist keine im Sinne der klassischen Physik deutbare, unmittelbar messbare Größe, sondern wird immer als Wahrscheinlichkeitsdichte interpretiert. [...]

4.1.1 Meßproblem

Der Punkt 4, der Messprozess, ergibt sich nicht aus der Schrödinger-Gleichung (3), sondern muss extra begründet werden. Dabei erfolgt die Deutung eines Experiments in drei Schritten (Heisenberg 1958/1990, S. 29):

I. Experimentelle Ausgangssituation, bei der quasi in einer "1. Messung" das Messgerät mit dem Objekt zusammentrifft, wird in eine Wahrscheinlichkeitsfunktion übersetzt. Beispielsweise führt Ortsbestimmung eines Elektrons durch ein Photon (g -Strahlung) zu einer Ablenkung des Photons durch Streuung (vgl. auch Ludwig 1984, S. 352).

II. Die Wahrscheinlichkeitsfunktion entwickelt sich (rechnerisch) im Laufe der Zeit. Sie beschreibt die "Gesamtheit von möglichen Vorgängen" (ebd., S. 37), die u.a. abhängt von objektiven Einflüssen wie dem Einfluss der Messanordnung und den "Unsicherheiten der mikroskopischen Struktur der ganzen Welt" (ebd.). Im Beispiel des Elektrons wird dessen Bewegungsrichtung sich durch die Einwirkung des Photons und weitere Einflüsse verändern. Was hier "wirklich" passiert, darüber kann es in dieser Phase nur eine theoretische Voraussage geben, die alle Möglichkeiten enthält. Ludwig führt an dieser Stelle die Mikroskoplinse ein, deren endliches Auflösungsvermögen letztlich die Grundlage der Statistik ist (Ludwig 1984, S. 352f.).

Abgeschlossen wird die Beobachtung/Messung aber erst in der 3. Phase:

III. Die Wahrscheinlichkeit für das Ergebnis einer nun erfolgenden Messung/Beobachtung (Schwärzung einer Fotoplatte) kann aus der Wahrscheinlichkeitsfunktion berechnet werden. Bei der Messung erfolgt ein "Wechsel vom Möglichen zum Faktischen" (ebd., S. 30, 38), indem "von allen möglichen Vorgängen" jener ausgewählt wird, "der tatsächlich stattgefunden hat" (ebd., S. 38), d.h. welcher einen messbaren Effekt hervorgerufen hat. Da bereits die "1. Messung" (der Anfangsbedingungen) dazu geführt hatte, dass das Elektron seine Position verlassen hat, kann eine Messung dieser Position nicht noch einmal durchgeführt werden: "man kann nie mehr als einen Punkt der Elektronenbahn beobachten" (ebd., S. 31), deshalb "gibt [es] gar keine Elektronenbahnen im gewöhnlichen Sinne" (ebd.).

Es ist ganz allgemein unmöglich, anschaulich zu beschreiben, was zwischen zwei aufeinanderfolgenden Beobachtungen geschieht. (Heisenberg 1958/1990, S. 31)

Niels Bohr legte mehr Wert auf die Bedeutung des makroskopischen Messgeräts (wie der Mikroskoplinse bei Ludwig), von dessen Wechselwirkung mit dem ursprünglichen Objekt nicht mehr – wie in der klassischen Physik - abstrahiert werden kann. An das eben genannte Gedankenexperiment wird nun noch eine Photoplatte zur Registrierung (wie in Abb. 15) angebracht.

Abbildung 14: "Beobachtung" eines Elektrons (aus Ludwig 1984, S. 351)

Dieses Messgerät wird klassisch betrachtet. Dadurch gibt es in der Betrachtung einen "Schnitt" zwischen dem Quantenraum (hochdimensionaler Konfigurationsraum) und dem klassischen Raum (dreidimensionale Raumzeit/bzw. Phasenraum). Aus diesem Schnitt erklärt es sich, dass einerseits die Schrödingergleichung für die zeitliche Entwicklung des Quantenobjekts gilt, andererseits bei der vollzogenen Messung eine "Reduktion der Wellenfunktion" erfolgt.

Mathematisch wird durch die Einwirkung des hermitischen Operators "eine Eigenfunktion und der ihr entsprechende Eigenwert des Operators projiziert" (Röseberg 1984, S. 196). Die "originale" Kopenhagener Deutung beruht darauf, dass das Messgerät als makroskopisch betrachtet wird (mit vielen Freiheitsgraden).

Nun ist aber der Beobachter ausschließlich an den Eigenschaften des Objekts interessiert. Demzufolge wird er den Zustand des Gesamtsystems auf den Teil des Hilbertraums projizieren, der allein durch die Zustandsvektoren des Objekts aufgespannt wird. Diese Isolierung des Objekts ist natürlich mit einem Verlust an Information verbunden, denn sie schneidet ja notwendigerweise die Korrelationen zum (makroskopischen Messgerät) ab. (Meier, Zimdahl 1986, S. 784)

Entsprechend der Deutung der Kopenhagener Interpretation erklärt sich die Irrversibilität der Veränderung der Wellenfunktion daraus, dass die Quantenereignisse mit Hilfe klassischer Instrumente registriert werden. Manche Interpreten gehen auch davon aus, dass die Registrierung erst erfolgt, wenn das menschliche Bewusstsein die Information aufgenommen hat (Wigner 1961/1983, S. 172f.), so dass "der Inhalt des Bewusstseins die letzte Realität ist" (ebd., S. 169). Bohr sieht das anders. Seiner Meinung nach ist entscheidend ein "irreversibler Akt der Verstärkung" (irreversible amplification effect) (Bohr 1958/1985, S. 96), der schon mit der Schwärzung einer Fotoplatte oder der makroskopischen Zeigerstellung eines Geräts gegeben ist, nicht erst mit der bewussten Wahrnahme dieser Schwärzung oder Zeigerstellung.

Letztlich ist das Messproblem das grundlegendste Problem bei der Deutung der Quantentheorie. Es eröffnet grundlegende Fragen:

"Es scheint gerade so, als wäre die Theorie ausschließlich mit "Ergebnissen von Messungen" beschäftigt und hätte weiter nichts zu sagen. Was qualifiziert denn einige physikalische Systeme, die Rolle des "Messenden" zu spielen? Hat die Wellenfunktion der Welt tausende von Millionen Jahren mit dem Springen gewartet, bis der erste Einzeller auftauchte? Oder musste sie noch ein bisschen länger warten, auf ein qualifizierteres System – mit einem Doktorgrad?" (Bell 1992, S. 268)

C.F. v. Weizsäcker erklärt den Messprozess aus der allgemeinen zeitlichen Irreversibilität. Während die Vergangenheit "faktisch" festgelegt ist, entspricht der Zukunft ein Feld von Möglichkeiten und die Gegenwart ist jene Zeitdauer, in der das Mögliche zum Faktischen "gerinnt". In dieser Vorstellung entspricht die dritte Phase einfach der "Erzeugung eines Meßresultats als Faktum" (v. Weizsäcker 1985/1988, S. 591). Die Y -Funktion ist "nichts anderes als die vollständige Liste aller möglichen Vorhersagen, die er über [der Beobachter] über das Ergebnis einer künftigen Messung machen kann, vorausgesetzt, daß das Ergebnis der letzten bekannt ist." (ebd., S. 517). Der Geltungsbereich dieses Katalogs an Voraussagen für die Zukunft gilt nur bis zur jeweils nächsten Messung.

Bohr charakterisierte den "statistischen Charakter" der Quantenphysik dadurch, "daß unter gleichen Versuchsbedingungen im allgemeinen Beobachtungen auftreten, die verschiedenen möglichen individuellen Prozessen entsprechen" (Bohr 1958/1985, S. 99). ("statistical character [...] is evidenced by the fact that in one and the same experimental arrangement there will in general appear observations corresponding to different individual processes" (Bohr 1958, p.90))

Der Hintergrund für das Messproblem ist, dass die mathematischen Räume, in denen Quantenzustände definiert sind, als Darstellungsräume nicht identisch sind mit den (klassischen) Beobachtungsräumen (vgl. Röseberg 1984, S. 216).

4.1.2 Unbestimmtheitsprinzip

Für die Quantentheorie ist die Bezeichnung "Unschärferelation" oder "Ungenauigkeitsrelation" irreführend. Sie unterstellt, dass es eine genaue Bahn gäbe, für die nur die Werte nicht genau oder nur unscharf zu ermitteln seien. Tatsächlich jedoch ist diese Unterstellung unbegründet – es ist nicht selbstverständlich, dass es überhaupt genaue Werte gibt. Hier geht es nicht nur um eine Unkenntnis unsererseits, sondern es lässt sich aus der Theorie zeigen, dass in diesem Fall jeweils eine Größe nicht definiert ist, wenn die andere gemessen wird.

Heisenberg konnte dies bereits mit seiner Matrizendarstellung ableiten, wenn die Matrizen der Ortskoordinaten (hier vereinfacht dargestellt als: q) und der Impulskoordinaten (p) nicht vertauschbar, d.h. nichtkommutativ sind. Ihre Nichtkommutativität ist durch den Faktor h/2p (Plancksches Wirkungsquantum) bestimmt:

                         (8)

Es kann nicht vorausgesetzt werden, dass Quantenobjekte durch kontinuierliche Trajektorien im Phasenraum (Orts- und Impulskoordinaten) beschrieben werden, sondern eine Wellenfunktion kann grundsätzlich nicht durch Punkte in einem Phasenraum beschrieben werden. Heisenberg und Bohr machen darauf aufmerksam, dass der Begriff der Geschwindigkeit in einer gequantelten Welt nicht einfach vorausgesetzt werden kann – das zeigt, dass diese Größe selbst eine Abstraktion ist, deren Verwendung in der klassischen Physik unproblematischer ist als in der Quantentheorie (vgl. Heisenberg 1927, S. 172; Bohr 1928/1983, S. 101).

Deshalb ist nicht so, dass beide Eigenschaften (Ort, Impuls) gleichermaßen exakt vorhanden wären, wir sie nur nicht genau bestimmen könnten, dass also bei der Messung der einen Größe die andere sukzessive "unschärfer" wird, wie es die quantitative Betrachtung der Formel (7) nahe legen könne. Wie beim Welle-Teilchen-Dualismus können wir nicht davon ausgehen, dass das Quantenobjekt Welle oder Teilchen bzw. Welle und Teilchen gleichzeitig ist, sondern es ist etwas ANDERES, zeigt aber unter verschiedenen experimentellen Umständen, die es mit der klassischen Welt verbinden, seine Eigenschaften teilweise in "klassischer Form". Bei den sich im Experiment ausschließenden Eigenschaften und Größen ist die Situation so, dass jeweils tatsächlich nur das eine Verhalten untersucht wird und das andere dann (bezüglich der konkreten Situation) nicht existiert, nicht definierbar ist.

"... nicht nur die Messung ist unmöglich, sondern auch jede vernünftige [...] theoretische Definition. Die prinzipielle Unmöglichkeit des Messens rührt also daher, daß es das eine Mal unendlich viele, das andere Mal überhaupt keine definitorische Festlegung der fraglichen Begriffe gibt, die der unmittelbaren Erfahrung (bzw. den Grundannahmen der Theorie) nicht widerspricht." (v. Neumann 1932, S. 172)

Auch Röseberg betont, dass die "messende Beobachtung jeweils die Definitionsmöglichkeit der entsprechenden anderen Größe einschränkt" (Röseberg 1978, S. 107, kursiv von A.S.).

Oder anders ausgedrückt:

"Zustandsverschränkung bedeutet, allgemein formuliert, dass keines der Systeme für sich genommen einen Wert der betreffenden zustandsabhängigen Eigenschaften hat – auch nicht einen Wert mit einer Unschärfe, die von anderen Eigenschaften desselben Systems abhängig ist." (Esfeld 2002, S. 201)

4.1.3 Komplementarität

In der Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelation war noch nicht ganz klar, was diese Unbestimmtheit bedeutet. Erst Bohr führte die gegenseitige Einschränkung der Bestimmtheit einiger Größen darauf zurück, dass die Quanten- und die klassische Welt nicht mit einer Sprache beschreibbar sind, sondern inkompatible, aber ergänzungsgeeignete Darstellungen sind. Wenn wir uns Quantenprozesse anschaulich (also klassisch) verdeutlichen wollen, dann müssen wir jeweils zwei klassische "Bilder" in komplementärer Weise verwenden. Es geht um "komplementäre Seiten der Erfahrung, die sich nicht in einem Raum-Zeitbild vereinen lassen, das auf den klassischen Theorien beruht (Bohr 1927, zit. in Röseberg 1984, S. 191).

Bohrs genauere Formulierung der Situation der Komplementarität bezieht sich auf zwei mögliche Darstellungsformen, die Raum-Zeit-Darstellung und jene der (mechanischen) Kausalität, die sich ausschließen:

Nach dem Wesen der Quantentheorie müssen wir uns also damit begnügen, die Raum-Zeit-Darstellung und die Forderung der Kausalität, deren Vereinigung für die klassischen Theorien kennzeichnend ist, als komplementär, aber einander ausschließende Züge der Beschreibung des Inhalts der Erfahrung aufzufassen, die die Idealisierung der Beobachtungs- bzw. Definitionsmöglichkeiten symbolisieren. (Bohr 1931, S. 34ff.).

Bohr begründet die Komplementarität damit, dass ihre jeweiligen Darstellungen idealisierten, der klassischen Vorstellung entnommenen, Sichtweisen entspringen (Born 1928, S. 239). Als Verallgemeinerung der Heisenbergsche Unbestimmtheitsrelation zeigt sich das Bohrsche Komplementaritätsprinzip auch dadurch, dass Heisenberg die Diskontinuität gegenüber der Kontinuität überbetonte – aber Bohr auch das Verhältnis Diskontinuität-Kontinuität selbst als komplementär erfasste. Auch der Welle-Teilchen-Dualismus begründet sich in solch einer Komplementarität.

Für den eingeführten Zustandsbegriff ergibt sich daraus, dass wir nicht davon ausgehen können, ihn im üblichen Sinne als "eindeutig festgelegte faktische Tatsache" zu interpretieren, sondern eher als "Möglichkeit" (Heisenberg 1958b/1990, S. 180). "Koexistierende Zustände" im ersten Sinne sind nicht vorstellbar, "koexistierende Möglichkeiten" schon.

In dem oben beschriebenen Messprozess besteht das Verständnisproblem darin, dass in der zweiten Phase (der zeitlichen Entwicklung der Schrödingergleichung in der Wechselwirkung) das Energie-Impuls-Bild verwendet, die folgende dritte Phase dann wieder in unser gewohntes raum-zeitliches Bild "umschwenkt" (vgl. Heisenberg 1958/1990, S. 33). Die Kopenhagener Deutung "fängt mit der Tatsache an, daß wir unsere Experimente mit den Begriffen der klassischen Physik beschreiben müssen, und gleichzeitig mit der Erkenntnis, daß diese Begriffe nicht genau auf die Natur passen" (ebd., S. 39).

Es ist modern geworden, viele sich ergänzende Sichtweisen als "komplementär" zu bezeichnen. Diese metaphorische Verwendung verwischt aber i.a. die wichtige Eigenschaft der wissenschaftlichen Komplementarität, die sich aus der Theorie (aus der Nichtkommutativität der entsprechenden Größen) selbst ergibt.

4.1.4 Schrödingers Katze - Korrespondenzprinzip

Der Übergang von der Quanten- zur klassischen Welt wurde auch so gedeutet, dass die Quantenmechanik die klassische Mechanik als Grenzfall enthalten sollte. Wird das Plancksche Wirkungsquantum als sehr klein angenommen, geht die Schrödingergleichung in eine klassische Bewegungsgleichung über. Das wurde als konkreter Fall des Korrespondenzprinzips (Bohr 1920/1922) gedeutet:

"Die mit hinreichender Genauigkeit bestätigten Gesetze einer Theorie niederen Allgemeinheitsgrades (werden) in ihrer mathematischen Form aus der entsprechenden Theorie höheren Allgemeinheitsgrades innerhalb ihres Gültigkeitsbereiches erhalten." (Röseberg 1975, S. 45).

Röseberg machte schon darauf aufmerksam, dass es nicht exakt ist davon zu sprechen, dass eine Theorie die andere "enthalte", weil sie unterschiedliche Begriffe benutzen. In der Schrödingergleichung sind die Zustände Operatoren des Hilbertraumes, keine Elemente eines klassischen Phasenraumes. Lediglich die mathematischen Strukturen der Gesetze gehen näherungsweise ineinander über (für die matrizenmechanische Darstellung der Quanten- und die klassische mechanische Theorie siehe Röseberg 1978, S. 76).

Diese Art vorsichtige Korrespondenz deutet darauf hin, dass es eine Brücke von der Quanten- zur klassischen Welt gibt. Aber offen bleibt:

"Jeder Versuch, eine "klassische" Physik aus der Quantentheorie zu begründen, muss also vordringlich erklären, warum wir nur ganz spezielle Zustände (die dann "klassisch" genannt werden) beobachten." (Joos 2002, S. 174)

Dies kann die Kopenhagener Deutung nicht leisten.

Grundsätzlich ist dabei jedoch zu beachten: Während wir im klassischen Fall von der "Katze da draußen" zu sprechen vermeinen, können wir dies in der Quantenmechanik nicht mehr. Die Y -Funktion kann nicht mit einer klassische Katze gleichgesetzt werden, sie ist ihr nicht analog. Der ganze Vergleich beruht darauf, sich die Y -Funktion als "unabhängig von unserem Wissen Seiendes" vorzustellen wie eine Katze. Wenn wir dann die erstaunlichen Ergebnisse der Quantentheorie als Eigenschaft der "Dinge da draußen" auf eine Katze übertragen, ergibt sich solcher Kauderwelsch wie: "Die halbe lebende und die halbe tote Katze sind durch den ganzen Kasten verschmiert" (zit. in v. Weizsäcker 1985/1988, S. 542).

4.1.5 Realismus/Idealismus

Vor allem die Interpretation der Reduktion der Wellenfunktion entsprechend der Kopenhagener Deutung führte zu weitreichenden subjektivistischen Interpretationen. Es entstand "die Tendenz, die Materialität der Mikroobjekte in Zweifel zu ziehen" (Röseberg 1978, S. 112).

Die "Klassiker" der Quantentheorie äußern sich dazu widersprüchlich. Die Aufgabe eines naiven Realismus – der dabei teilweise in sein Gegenteil umschlägt - zeigt sich in folgenden Äußerungen:

  • Bohr: Die "Vorstellung der objektiven Realität der zur Beobachtung gelangenden Phänomene" sei nicht mehr aufrecht zu erhalten. (Bohr 1931, S. 63)
  • Bohr: Der "subjektive Charakter aller Begriffe der klassischen Physik" sei klargelegt (ebd.).
  • Heisenberg: Dem Atom der modernen Atomtheorie kommen unmittelbar keine materiellen Eigenschaften mehr zu. (Heisenberg 1932, S. 60)
  • Heisenberg: "Die "Bahn" entsteht erst dadurch, dass wir sie beobachten." (Heisenberg 1927, S. 185)
  • Heisenberg: "Die Naturgesetze, die wir mathematisch in der Quantentheorie formulieren, handeln nicht mehr von den Teilchen selbst, sondern von unserem Wissen über die Elementarteilchen" (zit. in Wigner 1961/1983, S. 169).

The laws of nature which we formulate mathematically in quantum theory deal no longer with the particles themselves but with our knowledge of the elementary particles. (quoted. in Wigner 1961/1983, S. 169)

Extremer Subjektivismus uferte bei den meisten Physikern jedoch nicht aus. Es gibt auch entgegengerichtete Zitate:

  • Bohr: "Entscheidend ist es, daß in keinem Fall die geeignete Ausweitung unseres begrifflichen Rahmens eine Berufung auf das beobachtende Subjekt in sich schließt, was eine eindeutige Mitteilung von Erfahrung verhindern würde." (Bohr 1985, S. 110)
  • Heisenberg: "Natürlich darf man die Einführung des Beobachters nicht dahin mißverstehen, daß etwa subjektivistische Züge in die Naturbeschreibung gebracht werden sollten. Der Beobachter hat vielmehr nur die Funktion, Entscheidungen, d.h. Vorgänge in Raum und Zeit zu registrieren, wobei es nicht darauf ankommt, ob der Beobachter ein Apparat oder ein Lebewesen ist; aber die Registrierung, d.h. der Übergang vom Möglichen zum Faktischen ist hier unbedingt erforderlich und kann aus der Deutung der QT nicht weggelassen werden." (Heisenberg 1959/1990, S.128)
  • Heisenberg: "Sicher enthält die Quantentheorie keine eigentlich subjektiven Züge, sie führt nicht den Geist oder das Bewußtsein des Physikers als einen Teil des Atomvorgangs ein." (Heisenberg 1958/1990, S.39)
  • von Weizsäcker: "Er [der Beobachter] wird in der Beschreibung der Experimente nicht mitbeschrieben. Er ist vielmehr derjenige, der es beschreibt. Dabei kommt es aber auf ihn als diese individuelle Person gerade nicht an." (Weizsäcker 1985/1988, S. 530)

Der Versuch Einsteins, einen klassischen Realismus zu verteidigen, führte – über das EPR-Gedankenexperiment – schließlich dazu zu erkennen, dass eine Quantenrealität, falls es sie gibt, auf jeden Fall andere als klassische Eigenschaften besitzt, wie die Nichtlokalität (siehe 3.6). Die durch Einstein, Podolski und Rosen gegebene Charakterisierung der Realität ist tatsächlich aufzugeben. Sie hatten geschrieben:

Eine ausreichende Bedingung für die Realität einer physikalischen Größe ist die Möglichkeit, sie mit Sicherheit vorhersagen zu können, ohne daß dabei das System gestört wird. (Einstein, Podolski, Rosen 1935/1983, S. 138).

A sufficient condition for the reality of a physical quantity is the possibility of predicting it with certainty, without disturbing the system. (Einstein, Podolski, Rosen 1935/1983, S. 138).

Auch Heisenberg stellte fest, dass alle Versuche, die Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik zu kritisieren, darauf abzielen "zu der Realitätsvorstellung der klassischen Physik, oder allgemeiner gesprochen, zur Ontologie des Materialismus zurückzukehren, also zur Vorstellung einer objektiven, realen Welt, deren kleinste Teile in der gleichen Weise objektiv existieren wie Steine und Bäume, gleichgültig, ob wir sie beobachten oder nicht." (Heisenberg 1959/1990, S. 120).

Niels Bohr (Bohr 1935b/1983) entwickelte den Begriff des "Phänomens" als Grundlage einer Beschreibung des Objekts der Quantenmechanik, die Positivismus, Realismus und Apriorismus vereinen sollte. Folgen wir der Darstellung von v. Weizsäcker:

Wissen können wir nur, was mit Phänomenen gesetzmäßig zusammenhängt. Als Phänomene soll man aber nicht isolierte Sinneswahrnehmungen bezeichnen, sondern jeweils nur das verständliche Ganze einer Situation, in deren Rahmen Sinneseindrücke erst eine mitteilbare Bedeutung bekommen. [...] Nicht ein Zeigerstand auf einer Skala ist ein Phänomen, sondern ein Zimmer, in dem Apparate stehen, die der Institutsmechaniker gebaut hat und auf denen der Experimentator die Stromstärke einer Entladung abliest. (v. Weizsäcker 1985/1988, S. 508).

Zur Beschreibung der Phänomene gehören die Bedingungen, unter denen verschiedene Voraussagen über die Zukunft möglich sind (Bohr 1935/1983, S. 146). Als Phänomen wird deshalb kein Ding oder Prozess "da draußen" – ohne Berücksichtigung unserer Erkenntnistätigkeit – betrachtet, sondern "Kein elementares Phänomen ist ein Phänomen, bis es nicht registriert (beobachtet) wurde" (Bohr, zit. in Wheeler 1981/1983, S. 184) ("No elementary phenomenon is a phenomenon until it is a registered (observed) phenomenon"(Bohr, quoted in Wheeler 1981/1983, p. 184). Zwischen der Aussendung des Objekts und der Registrierung im Spaltexperiment gibt es kein Phänomen, über dessen Eigenschaften man sprechen könnte (vgl. Wheeler 1981/1983, S. 189).

Auch Heisenberg betont:

Die Forderung, daß man beschreiben solle, was in einem quantentheoretischen Prozeß zwischen zwei aufeinanderfolgenden Beobachtungen geschehe, ist eine contradictio in adjecto, da das Wort "beschreiben" sich eben auf die Verwendung der klassischen Begriffe bezieht, während diese Begriffe doch in dem Raum zwischen zwei Beobachtungen nicht verwendet werden können. (Heisenberg 1959/1990, S. 135)

Phänomene sind das, "was der Beobachter wissen kann" (Weizsäcker 1985/1988, S. 527), während die Quantentheorie "beschreibt, was der Beobachter wissen kann" (ebd., S. 528). Von der Vergangenheit kann er die Fakten wissen, von der Zukunft den Katalog der Möglichkeiten, gegeben durch die Y -Funktion.

Heisenberg erklärt, dass die Wahrscheinlichkeitsfunktion objektive und subjektive Elemente vereinigt.

Sie enthält Aussagen über Wahrscheinlichkeiten oder besser Tendenzen (Potentia in der aristotelischen Philosophie), und diese Aussagen sind völlig objektiv, sie hängen nicht von irgendeinem Beobachter ab. Außerdem enthält sie Aussagen über unsere Kenntnis des Systems, die natürlich subjektiv sein müssen, insofern sie ja für verschiedene Beobachter verschieden sein können. (Heisenberg 1958/1990, S. 36)

Heisenberg unterschied zwischen dem Übergang vom Möglichen zum Faktischen während der Beobachtungswechselwirkung, die nichts mit einer Registrierung oder gar dem Geist des Beobachters zu tun hat, und der unstetigen Änderung der Wahrscheinlichkeitsfunktion, die mit unserer Kenntnis im Moment der Registrierung zu tun hat. (ebd., S. 38)

Das, was wir beobachten und registrieren, existiert nur, wenn und insofern wir es beobachten und registrieren. Wir können zum Universum sagen: "Universum, ohne dich wäre ich nicht entstanden. Aber du, großes System, bist gemacht aus Phänomenen, von denen jedes auf einem Akt der Beobachtung beruht. Du würdest nicht existieren ohne elementare Registrierungsakte wie meins." (Wheeler 1881a/1883, S. 199).(zu diesem Zitat) Auch v. Weizsäcker stellte fest, dass "die Natur früher ist als der Mensch, aber der Mensch früher als die Naturwissenschaft" (zit. bei Heisenberg 1958/1990, S. 40).

Abbildung 15: Das Universum beobachtet sich selbst... (aus Wheeler 1980/1983, S. 209)
Die existentielle Frage der Quantentheorie )

Wheeler macht aber auch selbst darauf aufmerksam, dass diese Fassung des "Phänomens" nichts zu tun hat mit "Bewußtsein" (Wheeler 1981/1983, S. 196)

"Consciousness" has nothing whatsoever to do with the quantum process. We are dealing with an event that makes itself known by an irreversible act of amplification, by an indelible record, an act of registration. (Wheeler 1981/1983, p. 196)

Mein individuelles Bewusstsein "schafft" nicht die "Welt da draußen", sondern eine Beschreibung der Welt.(siehe dazu mehr). Diese muss ich aber mit anderen kommunizieren und dadurch bestimmen wir jene eisernen Pflöcke (siehe Abbildung 14), durch die unsere Entwürfe ihre Beliebigkeit verlieren, in denen sich uns die Realität "da draußen" zeigt.

Auf Grund dessen, dass wir zu jedem Moment nur ein Experiment durchführen können und das nächste Experiment nicht mehr zur selben Zeit stattfindet, beschäftigen wir uns bei jedem Experiment mit einem neuen Phänomen. Wir können dasselbe nicht gleichzeitig "zweimal messen" (soweit es sich auf nichtkommutative Observable bezieht).

Die späteren explizit nichtsubjektivisitischen Aussagen der Begründer der Quantentheorie fanden i.a. keine allgemeine Nachfolge, sondern aktuelle Debatten gehen oft von eher subjektivistischen Annahmen aus. So von v. Neuman, der sich unsicher in der Interpretation des "Kollapses der Wellenfunktion" war. Er unterschied zwischen der "kausalen" Zustandsveränderung entsprechend der Schrödingergleichung (siehe weiter unten Gleichung (11)) und der "akausalen" Veränderung, bei der einer der nach (11) möglichen Zustände ausgewählt wird (Gleichung (12). Im Vergleich beider Veränderungen betont er, dass beim Messen ein "Vorgang der subjektiven Apperzeption" (v. Neumann 1932, S. 223) verknüpft ist, der "gegenüber der physikalischen Umwelt [eine] neue, auf diese nicht zurückführbare Wesenheit ist" (ebd.).

"Denn sie führt aus dieser [der physikalischen Umwelt A.S.] hinaus, oder richtiger, sie führt hinein, in das unkontrollierbare, weil von jedem Kontrollversuch schon vorausgesetzte, gedankliche Innenleben des Individuums." (v. Neumann 1932, S. 223).

Ausdrücklich spricht sich Eugene Wigner für eine Rückkehr zum Geist von Descartes, d.h. für eine Abkehr vom Materialismus aus (Wigner 1961/1983). Er interpretierte die Quantentheorie so, als wäre es nicht mehr möglich, die Gesetze der Quantenmechanik konsistent zu formulieren ohne Bezugnahme auf das Bewußtsein (ebd., S. 169)

…it was not possible to formulate the laws of quantum mechanics in a fully consistent way without reference to the consciousness. (Wigner 1961/1983, p. 169)

Dabei bezieht er sich nicht nur auf die onto-epistemische Einheit (dass jede physikalische Größe und jede Theorie ein Wissen ist und nicht identisch ist mit den "Dingen da draußen"), sondern meint direkt, dass erst durch das Wahrnehmen durch ein Bewusstsein, nicht bereits durch physikalische Apparate die "Reduktion der Wellenfunktion" geschieht. Er spricht auch ausdrücklich von der "Existenz eines Einflusses des Bewusstseins auf die physikalische Welt" (ebd., S. 178: "existence of an influence of the consciousness on the pyhsical world"). Dies geht über die onto-epistemische Einheit, die sich dessen bewusst ist, dass wir über die Welt nur wissen, was wir im Bewusstsein haben, hinaus. Es geht nicht mehr nur um Wissen und die Veränderung des Wissens durch das Bewusstsein, sondern um einen "Einfluss auf die physikalische Welt" durch das Bewusstsein (auch nicht nur im Sinne der Vermittlung unserer ideellen Vorhaben über materiellen Versuchspräparationen).

Auch in der Darstellung bei Bomfleur wird vorausgesetzt:

"Nach der Kopenhagener Deutung ist ein bewusster Beobachter nötig, um den Zusammenbruch der Wellenfunktion hervorzurufen." (Bomfleur 2001).

Was soll das heißen? Wenn die Wellenfunktion als "Ding/Eigenschaft da draußen" betrachtet wird, hätten wir damit den Nachweis des Idealismus, dass etwas Ideelles wie das Bewusstsein unmittelbar auf Materiell-Physisisches einwirken kann.

Diese Art Interpretation kann schließlich zu einem esoterischen Weltbild führen, wie beispielsweise bei Frithjof Capra. Dieser "übersetzt" die oben von Heisenberg zitierte Aussage über nicht Nichtexistenz einer klassischen Teilchenbahn für Elektronen in den Satz:

Das Elektron besitzt keine von meinem Bewußtsein unabhängigen Eigenschaften... (Capra 1982/1988, S.90/91).

Zumindest für die Quantenmechanik ist diese Aussage schon deshalb falsch, weil sie nur die nicht vertauschbaren Größen betrifft, die der Komplementarität unterliegen. Größen wie Masse, Ladung oder Spin kommen dem Elektron durchaus unabhängig von meinem Bewusstsein oder auch unabhängig vom Quantenmessprozess zu. Zusätzlich muss die Abhängigkeit vom Messinstrument bzw. der Registration durch einen "Beobachter" nicht automatisch eine Einwirkung des Bewusstseins implizieren. Zumindest die oben zitierten nicht subjektivistischen Aussagen anderer Wissenschaftler verweisen auf die Kurzschlüssigkeit und Fraglichkeit dieser Interpretationsweise, die im New-Age-Boom der 90er Jahre wieder aufkam. Die Formulierung von Capra wäre richtig, wenn er mit dem Wort "Elektron" nicht ein "Ding da draußen" meinen würde, sondern unser Wissen von ihm, aber dann wird die Aussage trivial.

Von Weizsäcker betont, dass die erkannte Abhängigkeit der wissenschaftlichen Ergebnisse (wie die Schwärzung auf einer Photoplatte) vom Subjekt nicht in Subjektivismus münden braucht, sondern gerade mit "Objektivität" in der Wissenschaft verbunden ist:

Objekte, Gegenstände, gibt es nur für Subjekte, denen sie "entgegenstehen". Objektiv ist die Schwärzung, gerade weil sie beobachtet werden kann. In diesem Sinne ist in der Quantentheorie das Objekt vom Subjekt nicht prinzipiell trennbar. (v. Weizsäcker 1985/1988, S. 530).

Röseberg diskutiert diese Frage im Zusammenhang mit dem Komplementaritätsprinzip:

Die Beobachtung des einen Aspektes schränkt gleichzeitig die Definitionsmöglichkeit für den anderen ein. Beobachten und Definieren sind Tätigkeiten des Subjektes der Erkenntnis. Die Beziehungen, di ezwischen diesen Tätigkeiten bestehen, existieren unabhängig vom Subjekt und können daher also nur durch das Objekt bestimmt sein. Wenn man sie als "objektiv" bezeichnet, meint das subjektunabhängig, vom Objekt bestimmt. (Röseberg 1984, S. 201, Hervorh. i. Orig.)

Deshalb muss nicht die Annahme der objektiven Realität selbst aufgegeben werden, aber der Einsteinsche Realismus ist obsolet. Einstein, Podolski und Rosen hatten als hinreichendes Kriterium für die physikalische Realität definiert:

Wenn man, ohne ein System in irgend einer Weise zu stören, die Werte einer physikalischen Größe mit Sicherheit (d.h. mit der Wahrscheinlichkeit 1) vorhersagen kann, dann existiert ein Element der physikalischen Realität, das dieser Größe entspricht. (Einstein, Podolski, Rosen 1935/1983, S. 138)

If, without in any way disturbing a system, we can predict with certainty (i.e., with probability equal to unity) the value of a physical quantity, then there exists an element of physical reality corresponding to this physical quantity. (Einstein, Podolski, Rosen 1935/1983, S. 138)

Diese naiv realistische Annahme vernachlässigt 1. die wichtige Unterscheidung zwischen einer mathematischen Beschreibung (durch den Zustandsvektor y ) und der Realität "da draußen". Ulrich Röseberg betont: "Die Realität der Mikroobjekte steht ebenso zweifelsfrei fest wie die Realität der Makroobjekte." (Röseberg 1978, S. 163). Wenn wir aber dann weiter danach fragen, in welcher Weise wir etwas davon wissen, müssen wir über die Zustandsfunktion sprechen. Der angenommene Zustand des Quantenobjekts j (in Formel (9), siehe unten) ist nur eine Abstraktion unsererseits. Dieser Zustand des Quantenobjektes "an sich" kann nicht Gegenstand unserer Erkenntnis sein, sondern der Zustand "für uns", was dem y in (10) und (11) entspricht. Dann gilt:

Die Zustandscharakteristik y bestimmt ein objektives Möglichkeitsfeld des jeweiligen Objektes (Mikroobjekt) mit anderen Objekten (Makroobjekt). (Röseberg 1978, S. 163)

Auch Röseberg betont, dass wir jeden Versuch fallen lassen müssen, "das Seiende als etwas begrifflich zu erfassen, was unabhängig vom Wahrgenommen-Werden gedacht wird" (Einstein, nach Röseberg 1984, S. 206).

Der Mensch kann als Erkenntnissubjekt nur in der gegenständlichen und theoretischen Auseinandersetzung mit dem Erkenntnisobjekt erkennen; gleichzeitig ist seine Erkenntnistätigkeit auf Erkenntnis objektiver, von dieser Tätigkeit unabhängiger gesetzmäßiger Beziehungen gerichtet. (Röseberg 1984, S. 207)

Wir dürfen nie vergessen, dass wir als quantenmechanische Objekte über "Zustände" – also physikalische Größen - sprechen und es leitet fehl, uns darunter unvermittelt "Dinge und Eigenschaften der Welt da draußen" vorzustellen. Eine derartige Ontologisierung führt zum Irrtum, dass die bewusste Registrierung in der "Welt da draußen" mehr verändert, als durch materielle Wechselwirkungen zu erklären ist.

Diese Zustände sind genauso Abstraktionen, wie die Vorstellungen über Quantenobjekte.

Bei der Diskussion dieser Fragen darf nicht außer acht gelassen werden, dass es sich, sowohl bei der Strahlung im leeren Raum wie bei den isolierten materiellen Partikeln, gemäß der hier vertretenen Auffassung um Abstraktionen handelt, weil ihre Eigenschaften zufolge des Quantenpostulats nur durch ihre Wechselwirkung mit anderen Systemen der Definition und Beobachtung zugänglich sind. (Bohr 1928, S. 240)

In the discussion of these questions, it must be kept in mind that […], radiation in free space as well as isolated material particles are abstractions, their properties on the quantum theory being definable and observable only through their interaction with other systems. (Bohr 1928/1983, S. 92-93)

In diesem Zusammenhang ist auch Wheelers Bemerkung zu verstehen, dass wir als Beobachter die "Realität" zur Existenz bringen (Wheeler 1979/1983, S. 202). "Realität" ist hier die klassisch gemeinte, vorstellbare Realität mit raumzeitlich feststellbaren und voneinander isolierten Objekten.

2. erweiterte schon Bohr den Realitätsbegriff dadurch, dass er das Augenmerk auf "Phänomene" lenkte, die die Bewegung der beteiligten Teile selbst berücksichtigen und ihre Isolierung auch untereinander als unzulängliche Abstraktion nachweisen (Bohr 1935b/1983, S. 146).

In dieser Hinsicht hat Blochinzew Recht, wenn er betont, "dass die subjektive Auffassung der Wellenfunktion darauf beruht, dass ihre statistische Wesenheit vergessen wird" (Blochinzew 1988, S. 575).

Diese grundsätzliche Einschätzung konnte schon vor der Entwicklung der Dekohärenz-Theorie getroffen werden. Die Dekohärenztheorie lenkt die Aufmerksamkeit von der Wechselwirkung Quantenwelt – klassisches Messgerät weg und hin zu Wechselwirkungen inner- (und "unter"-) halb der Quantenwelt selbst.

4.2. Quantisierung des Meßgeräts

Die folgende Darstellung betrachtet die Zustände des Messgeräts selbst aus der Sicht von Quantenzuständen (Böhm 1988) und folgt damit von Neumann (1932):

I. Präparation

Es wird eine Vorrichtung entwickelt, die definierten Anfangsbedingungen unterliegt (z.B. Stern-Gerlach-Filter). Wir betrachten die beteiligten Systeme in ihren Zuständen. Wir haben das Quantenobjekt im (reinen) Zustand j Objekt

                         (9)

 

Das Messgerät hat die Zustände F b und F a – befindet sich aber eindeutig im Zustand F a (es wird vorausgesetzt, dass vorher eine Messung mit gerade diesem Ergebnis stattgefunden hat). Der Gesamtzustand von Quantenobjekt und Messgerät zum Zeitpunkt t0 lässt sich nun darstellen als:

                         (10)

(zur Erinnerung: Zustände j gehören zum Objekt, Zustände F zum Messgerät.)

Y genügt der Schrödingergleichung (1).

II. Wechselwirkung

Bei der Messung wird das Quantensystem einer Wechselwirkung entsprechend der zu messenden Größe unterworfen. Es entsteht eine Überlagerung von Zuständen, die den verschiedenen Einstellungen der Messapparatur entsprechen.

                         (11)

Mathematisch drückt sich die Wechselwirkung als Entwicklung von Y nach den Eigenvektoren a und b aus. Es ist nicht so, dass sich das Quantensystem in einem der möglichen Zustände Y a (t1) oder Y b(t1) befindet und wir nur nicht wüssten, in welchem.

Das Objekt und unser Messgerät sind korreliert. Die Zustände, die man nicht voneinander trennen kann, nennt man verschränkt, bzw. "superponiert".

III. Registrierung

Dieses Ergebnis ist aber noch nicht akzeptabel. Wir "sehen" ja nicht wirklich diese Verschränkung, sondern einen konkreten Messwert; aber bei unterschiedlichen Messungen erhalten wir verschiedene Messwerte und wir können nur die Wahrscheinlichkeiten dafür mit Hilfe der Schrödingergleichung berechnen, nicht die Werte selbst. Einzelne Werte erhalten wir erst, wenn mit Hilfe der Apparatur ein makroskopischer Effekt erzeugt worden ist. Zwischen Wechselwirkung und Registrierung müssen wir gedanklich einen "Schnitt" ansetzen, die Erzeugung des makroskopischen Effekts. Was hier passiert, wird nach J.v.Neumann (1932) "Kollaps der Wellenfunktion" (oder "Zustandsreduktion) genannt. Dabei springt die Wellenfunktion abrupt und zufällig in einen der beiden Zustände:

                         (12)

 

 

Die Statistik gilt hier nicht, wie in der Physik sonst, für ein Vielteilchensystem, sondern bereits für ein Objekt (in Wechselwirkung mit dem Messgerät und mit makroskopischer Registrationsverstärkung).

Da die Zustandsreduktion nichts mit der Schrödingergleichung zu tun hat, sondern nur gebraucht wird, um zu erklären, warum wir wenigstens einen Messwert tatsächlich messen, haben wir eine unerfreuliche Situation.

Die Schrödingergleichung scheint nicht immer zu gelten, denn bei Messungen wird ein neues Gesetz benutzt, das eine Wellenfunktion mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit durch eine andere ersetzt (der so genannte "Kollaps" der Wellenfunktion"). Streng genommen ist eine solche Theorie inkonsistent, weil sie zwei Bewegungsgesetze hat, aber jeder Physiker weiß, wann er das eine oder das andere Gesetz anzuwenden hat: Die Schrödingergleichung gilt nur für abgeschlossene Systeme, der Kollaps ist anzuwenden, wenn eine Messung vorgenommen wird. (Joos 2002, S. 171)

Betrachten wir das untersuchte System als Teilsystem eines größeren Systems, das durch Y beschrieben wird. Dann können wir für dieses Teilsystem eine Dichtematrix einführen.(siehe dazu auch).

                         (13)

Die Außendiagonalelemente zeigen die objektive Interferenz der Zustände j a und j b .

Wie diese Interferenz (in (8)) sich durch die Registrierung (in (11)) in einer "Zustandsreduktion" auflöst, bleibt auch hier unerklärt – aber wenigstens sind wir die Kohärenzterme los. In der Matrizenschreibweise liegt nach bei der Messung eins der beiden Messergebnisse vor.

                         (14)

 

4.3. Everett

Ausgehend von dieser qunatisierten Beschreibung des Messgeräts verzichtete Everett auf die "Reduktion der Wellenfunktion", d.h. auf die Registrierung.

Everett hatte versucht, die Quantentheorie so aufzubereiten, dass sie passfähig für die Einbeziehung der Allgemeinen Relativitätstheorie wird. Dazu verallgemeinerte er die Quantentheorie für die klassische Welt. Es wird völlig auf das Problem der "externen" Beobachtung verzichtet.

Das bedeutet, dass der Beobachter, bzw. das Messgerät in die Schrödingergleichung "hinein" genommen wird, bzw. die Schrödingergleichung auf Makroobjekte ausgedehnt wird. Jeweils Objekt plus Beobachter bilden nun das betrachtete isolierte System. Dann verschwinden auch die ominösen statistischen Effekte der Quantentheorie und es ist möglich, die reine Wellenmechanik als vollständige Theorie zu betrachten (Everett 1957/1983, S. 316). Eins der Ergebnisse dieser Untersuchungen ist, dass verschiedenen Subsystemen unterschiedliche Zustände zukommen, die gegeneinander relativ sind. Das bedeutet, der Zustand eines Subsystems ist abhängig vom "Rest" des Gesamtsystems. Die Zustände der Subsysteme sind korreliert, sobald die Subsysteme in Wechselwirkung treten.

Es gibt generell keinen einen einzelnen Zustand für ein Subsystem eines zusammengesetzten Systems. Subsysteme haben keinen Zustand, der unabhängig vom Zustand des Rests des Systems wäre, so daß die Subsystemzustände miteinander korreliert sind. (Everett 1957/1983, S. 317).

There does not, in general, exist anything like a single state for one subsystem of a composite system. Subsystems do not possess states that are independent of the states of the remainder of the system, so that the subsystem states are generally correlated with one another. (Everett 1957/1983, p. 317)

Wenn wir nach einer Beobachtung einen definierten Zustand erhalten, so ist dies nur ein Schein, der daher rührt, dass wir die Position eines der Subsysteme eingenommen haben und wir seinen relativen Zustand erfahren. Die Theorie ermittelt alle möglichen, sich "verzweigenden" Zustände nach einer Sequenz von Beobachtungen. Dabei existieren alle Zweige weiterhin simultan! (ebd., S. 320). In jedem einzelnen Gedächtnis führt dessen beschränkte Kapazität jedoch zu einer Begrenzung der erfassten Verzweigungen.

Gell-Mann betont, dass die Interpretation der Everettschen Theorie als "Vielweltentheorie" nicht angemessen ist. Besser wäre es zu sprechen von "vielen Geschichten, die mit Ausnahme ihrer unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten in der Theorie gleich behandelt werden" (Gell.-Mann 1994, S. 208-209).

4.4 Dekohärenzkonzept

Seit Beginn der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts neigt sich das Hauptinteresse einer Alternative zur Kopenhagener Deutung zu, die von der einen Seite von Gell-Mann u.a. (siehe Gell-Mann 1994, S. 207ff) und von der anderen Seite von Zeh, Zurek, Joos u.a. entwickelt wurde.

Gell-Mann schildert den Gedanken, auch die Geometrie der Raumzeit des Universums als quantenmechanisch unbestimmt zu behandeln. Dabei bekommt sie eine neue Form von Determiniertheit, die mit Röseberg als Determination vom Typ II bezeichnet werden kann. Gell-Mann nennt dies "Grobkörnigkeit" und stellt fest: "Grobkörnigkeit kann Interferenzterme auswaschen" (Gell-Mann 1994, S. 219) und die Ereignisketten werden "dekohärent" (ebd., S. 220).

Die Dekohärenz der Geschichten (die aufeinanderfolgende angenäherte Position des Schwerpunkts des Objekts im Sonnensystem zu bestimmten Zeitpunkten angeben) ist auf die wiederholten Wechselwirkungen des Objekts mit Dingen [...] zurückzuführen, wie etwa mit den Photonen der Hintergrundstrahlung. (Gell-Mann 1994, S. 223)

Zeh ging ebenfalls davon aus, dass die Superposition nicht nur vom Messgerät zerstört wird, sondern ebenfalls Einflüsse durch die Umgebung zu berücksichtigen sind. Dabei nimmt er an, dass alle möglichen Objekte, ob in der Quanten – oder in der klassischen Welt, ursprünglich verschränkt sind, jedoch durch die ständige gegenseitige Wechselwirkung eine Aufhebung dieser Verschränkung ("Entkopplung" ) (Zeh 1970) stattfindet.

Dadurch hebt sich die Unterscheidung zwischen Quanten- und klassischer Welt auf, für beide der vorher unterschiedenen Bereiche ergibt sich die Quantentheorie als einheitliche theoretische Beschreibung. Die Vorstellung, die Quantenmechanik enthalte die klassische Mechanik als Grenzfall, wird als "Märchen vom klassischen Grenzfall" (Joos 2002, S. 172.) dargestellt.

Zeh spricht deshalb von einer "universellen Gültigkeit der Quantentheorie" (Zeh 1970, S. 72). Er hebt die Isoliertheit des Systems von Objekt und Beobachter auf. Nur für isolierte Systeme gilt die Schrödinger-Gleichung. Wenn wir Wechselwirkungen zwischen Objekten zulassen, werden die Superpositionen aufgehoben. Ihre Kohärenzen verschwinden, es geschieht "Entkopplung" (heute i.a. als "Dekohärenz" bezeichnet). Als besonders wichtige konkrete Wechselwirkungen gelten Streuprozesse (Joos 2002, S. 180).

Abbildung 16: Universell gültige Dekohärenz (aus Joos 2002, S. 175)

Dass sich Quanten- und klassische Welt unterscheiden, wird damit erklärt, dass die Dekohärenzzeit für Objekte unterschiedlicher Massen unterschiedlich ist, so dass die klassische Welt sich viel schneller dekohäriert als die Quantenwelt.

Die von Zeh ausgehende Dekohärenztheorie ersetzt die ad-hoc-Vorstellung vom "Kollaps der Wellenfunktion" durch die Einbeziehung eines Umgebungs-Hamilton-Operators in die Schrödingergleichung. Als System wird dadurch nicht mehr nur das Quantenobjekt oder das Objekt in Einheit mit dem Messgerät, aber ansonsten isoliert von der Umgebung, gesehen – sondern die Umgebungseinflüsse werden in einer Dichtematrix erfasst. Dabei wird nicht mehr zwischen Quanten- und makroskopischer Betrachtungsebene unterschieden.

Dies vorausgesetzt, können wir Dekohärenz beschreiben als Übergang eines superponierten Zustandes zu einem gemischten Zustand (durch Spurbildung), wodurch sich verschiedene Wahrscheinlichkeiten für verschiedene mögliche Messwerte ergeben. Das zeigt sich daran, dass aus der Dichtematrix eine reduzierte Dichtematrix wird, bei der die die Interferenz beschreibenden Außendiagonalterme verschwinden (siehe Formel (16) weiter unten). Zu beachten bleibt, dass wir hier von der Statistik verschiedener Messwerte für ein Objekt (speziell zwar räumlich entfernten, aber korrelierten Zuständen) sprechen, wobei dieses allerdings nicht isoliert, sondern in Wechselwirkung mit der Umwelt betrachtet wird.

Praktisch geht es in der Physik meist darum, die Dekohärenz durch geeignete Fehlerkorrekturverfahren möglichst zu reduzieren, d.h. das Objekt wieder zu isolieren, bzw. durch starke Kühlung die Wechselwirkung zu reduzieren, um Quanteneffekte nutzen zu können (Quantencomputer!). Die zeitliche Veränderung der Dichtematrix kann berechnet werden und es ergeben sich Abhängigkeiten der Dekohärenz von Masse, Temperatur, Abstand der korrelierten Zustände, die zur praktischen Verhinderung der Dekohärenzierung genutzt werden können.

4.4.1 Meßproblem

Strunz, Alber, und Haake vermuten, dass von einem wachsenden Verständnis der Dekohärenz eine "beruhigende Wirkung auf die Diskussion des Messprozesses in der Quantenmechanik" (Strunz, Alber, Haake 2002, S. 51) ausgeht. Der Messprozess wird jetzt folgendermaßen betrachtet: Wir gehen von einem offenen System, das Objekt und Messgerät (Zeiger) enthält, aus und dieses unterliegt dem dekohärierenden Einfluss der Umgebung.

Während Bohr davon ausging, dass das Messgerät als makroskopischer Apparat betrachtet werden muss, hatte von Neumann vorgeschlagen, das Messgerät selbst als Quantengerät zu betrachten (siehe oben). Es geht deshalb – gemeinsam mit den Umwelteinflüssen, in die Schrödingergleichung ein.

Wir haben dann statt der Gleichung (11) die Gleichung (15):

                         (15)

 

Die nun geltende Dichtematrix ist keine Dichtematrix eines reinen Zustandes mehr (wie in (13)), sondern sie wird zur reduzierten Dichtematrix:

                         (16)

 

Durch die dadurch beschriebene Dekohärenz (dem Übergang von der Superposition zur Mischung) gibt es keine Interferenz zwischen den verschiedenen Zeigerausschlägen mehr. Die Diagonalkoeffizienten |a|2 und |b|2 können als klassische Wahrscheinlichkeiten für j a bzw j b interpretiert werden.

"[...] Der Kollaps als Postulat einer geheimnisvollen, der quantenmechanischen Beschreibung unzugänglichen Sonderdynamik hat wohl in heutigen Anfängervorlesungen so wenig verloren wie der Klapperstorch in der Kinderstube." (Strunz, Alber, Haake 2002, S. 51)

Allerdings treten in dieser reduzierten Dichtematrix immer noch alle möglichen Ergebnisse der Messung mit ihren Wahrscheinlichkeiten auf. Warum welches Ergebnis eintritt, ist auch hier nicht erklärbar (vgl. Müller, S. 6). Es muss zusätzlich eine Art "Superselektion" in die Analyse einbezogen werden, die dazu führt, dass von den nach der Dekohärenztheorie noch möglichen Zuständen nur einer klassisch wird.

Dies hängt meiner Meinung nach damit zusammen, dass die Umgebung selbst qualitativ nicht in der Dekohärenztheorie enthalten ist und – wie in Bifurkationsmomenten in Selbstorganisationsprozessen - Einflüsse aus jeweils "untergeordneten" Sphären verstärkt werden. (Wir werden darauf im Punkt 3.5 zurückkommen).

Als eins der wichtigsten Ergebnisse dieser Betrachtung erscheint mir, dass deutlich wird, dass die Unbestimmtheit nun nicht mehr als subjektives Unwissen interpretiert wird, sondern eindeutig festgestellt wird, dass das System im korrelierten Zustand keinen eindeutigen Zustand darstellt, er ist nicht nur nicht bekannt (vgl. Zurek 1991, S. 39). Es existiert in der Quantenwelt kein eindeutiger Zustand, sondern eine Superposition. Es zeigt sich, dass aus der klassischen Analogie herrührende Eigenschaften nicht nur "manchmal nicht scharf zu messen" sind, sondern unter bestimmten Bedingungen nicht definierbar sind. Das Wort "Messung" verleitet dazu, anzunehmen, eine angenommene Eigenschaft existiere eigentlich unabhängig von der Messung und würde dann "gestört". Aus diesem Grund lehnte Bell die Verwendung des Wortes "Messung" grundsätzlich ab. Die Realität der Quantenwelt besteht aus verschränkten Zuständen. Es gibt keine isolierten Objekte mit eindeutigen Zuständen.

Dies gilt unabhängig davon, ob etwas "gemessen" wird. Auf diese Weise verliert auch das Messproblem seine Besonderheit, gegen die sich schon der oben zitierte John S. Bell mit seinem Artikel "Wider die Messung" (Bell 1992) engagiert aussprach:

"...müssen wir dann nicht zugeben, dass mehr oder weniger "messartige" Prozesse mehr oder weniger ständig und mehr oder weniger überall vor sich gehen?" (Bell 1992, S. 268)

Bei aller Euphorie darüber, dass die Dekohärenzvorstellung einige Probleme der Kopenhagener Deutung in einem anderen Licht sehen lässt, sollte nicht vorgetäuscht werden, dass sie sie löst. Der "Sprung" von der Quantenmathematik (Ausweitung der Gültigkeit der Quantensyntax auch für die Analyse makroskopischer Objekte) in unsere gewohnte Laborumgebung (aus der die Theorie der jeweils zugrunde liegenden Messungen stammt) muss trotzdem diskutiert werden.

4.4.2 Schrödingers Katze

Besonders wichtig ist die Dekohärenztheorie für die Lösung des Problems von Schrödingers Katze. Wieso ist die makroskopische Katze entweder ganz tot oder ganz lebendig? Wie gelingt der Übergang von der Quanten- zur klassischen Welt? Gell-Mann schildert die berechtigte Fragestellung, die bereits in den 50er Jahren von Fermi gestellt wurde:

Wenn die Quantenmechanik zutrifft, wieso ist dann der Planet Mars nicht über seine ganze Umlaufbahn verteilt? (Fermi, nach Gell-Mann 1994, S. 223)

Die Dekohärenz benötigt, im Unterschied zum abrupten "Kollaps der Wellenfunktion" einige Zeit. Diese Dekohärenz-Zeiten lassen sich berechnen und ist für unterschiedliche Massen sehr unterschiedlich. Dabei ergibt es sich "dass die durch die Außendiagonalsysteme der reduzierten Dichtematrix beschriebene quantenmechanische Kohärenz in einer Zeit zerfällt, die für makroskopische Körper sehr klein gegen alle anderen beteiligten Zeitskalen ist." (Müller, S. 6-7). Allgemein kann man sogar sagen:

"Die Dekohärenz findet praktisch kontinuierlich statt und führt zur klassischen Erscheinung unserer Erfahrungswelt." (Müller, S. 7)

Klassische Körper sind also immer lokalisiert (zur quantitativen Abschätzung siehe genauer bei Joos 2002). Das läßt sich leicht vorstellen: ein klassisch-makroskopischer Körper lässt sich von mikroskopischen Einflüssen nicht isolieren, er ist ständig der dekohärendierenden Wirkung der Umgebung ausgesetzt (die in klassischen Theorien von vornherein als vernachlässigbar nicht berücksichtigt werden) und deshalb gilt für die Katze eine reduzierte Dichtematrix, in der Tod oder Leben – aber keine Superpositionen zwischen diesen beiden Daseinsformen enthalten sind. Ob Tod oder Leben eingetreten sind, wissen wir nun trotzdem noch nicht, weil der Atomzerfall nicht selbst Gegenstand der Theorie war.

4.4.3 Realismus/Idealismus

Das Dekohärenzkonzept versteht sich als "realistische Erweiterung des von-Neumann-Modells", wie in der Abb. 18 gezeigt wird. Dabei wird Information über den Zustand des Messobjekts auf das Messgerät übertragen und dessen Zeigerstellung wird extrem schnell von der Umgebung registriert. Deshalb sind am lokalen System Objekt & Messgerät keine Interferenzen feststellbar.

Abbildung 17: Realistische Erweiterung des von-Neumann-Modells (nach Joos 2002, S. 179)

Es ist die Dekohärenz, welche bewirkt, dass wir nicht der Vielfalt der möglichen Everettschen Zweige begegnen, sondern aus dieser Vielfalt einer ausgekoppelt wird. Während die Vielfalt und die Einschränkung des Erlebens der möglichen Zweige bei Everett an Gedächtniseffekte (eventuell auch in Maschinen) gebunden ist, die auch subjektivistisch interpretierbar sind, ermöglicht die Zeh΄sche Entkopplung eine Objektivierung dieses Prozesses. Zeh formuliert ausdrücklich, dass durch diese Theorieversion die Objektivität der Wellenfunktion gesichert wird (Zeh 1970/1983, S. 369).

4.5 Die Rolle von Wechselwirkungen in der Quantenwelt

Das Dekohärenzkonzept bezieht sich ausdrücklich auf makroskopische Objekte und schreibt ihnen Quanteneigenschaften, die lediglich durch die umweltinduzierte Dekohärenz als klassische erscheinen, zu.

Dabei bleiben Fragen nach der Quantenwelt selbst offen. Auch in der Quantenwelt spielen Wechselwirkungen eine Rolle. Allerdings ergeben sich wegen der kleinen Masse größere Dekohärenzzeiten.

Es zeigt sich, dass jede Beschreibung, die die Quantenwelt als Menge voneinander isolierbarer Einzelobjekte betrachtet, zu Widersprüchen führt.

Bereits 1964 machten Sokolow, Loskutow und Ternow darauf aufmerksam, dass folgende Wechselwirkungsprozesse zu berücksichtigen sind (Sokolow, Loskutow und Ternow, 1964, S. 140).:

  • nicht voneinander isolierbare Mehrteilchenprozesse, wie die Umgebung von Elektronenwolken durch virtuelle Photonen (wodurch eine Herleitung der Unschärferelation unabhängig vom Beobachter möglich wird),
  • Einwirkungen von Vakuumfluktionen auf "Einzel"-Objekte,
  • Effekte der in der nichtlinearen Feldtheorie berücksichtigten Prozesse zwischen Elementarteilchen unter Berücksichtigung der Struktur der Elementarteilchen.

Daraus ergibt sich für Röseberg:

Es spricht manches dafür, die Kompliziertheit der mikromechanischen Bewegung auf Eigenschaften eines tieferliegenden materiellen Strukturniveaus zurückzuführen, das bislang nicht explizit berücksichtigt wird. (Röseberg 1975, S. 97).

Auch Blochinzew kritisiert die Kopenhagener Interpretation wegen ihrer Beschränkung der Aufmerksamkeit auf die Messvorrichtungen (Blochinzew 1988, S. 576). Der Grundgedanke, der in der Dekohärenztheorie aufgegriffen wird, ist also nicht grundsätzlich neu; seine Besonderheit ist jedoch die konsequente Formulierung, die die Berechnung von Kohärenzzeiten ermöglicht.

Grundsätzlich zeigt es sich, dass es tatsächlich keine "kleinen Wirklichkeitsklötzchen" mit ihnen eingeschriebenen Eigenschaften gibt, sondern meßbare Eigenschaften nur in Wechselwirkungen existieren. Dies ist auch der entscheidende Hintergrund für das Komplementaritätsprinzip. Es zeigt sich, dass verschiedene Wechselwirkungen einander praktisch ausschließen, was unseren klassischen Vorstellungen widerspricht.

Röseberg beschrieb das Dilemma von Bohr in folgenden Worten:

Einerseits setzt jede Definition des Zustands eines physikalischen Systems voraus, daß dieses von anderen Systemen genügend isoliert ist (strenggenommen sogar absolut isoliert). Das Quantenpostulat aber verbietet jegliche Beobachtung für absolut isolierte Systeme. (Röseberg 1978, S. 105).

5 Interpretation der Problemlösungen

5.1. Verhältnis Welt – Mathematik - Physik

Es gab eine Zeitlang zwei verschiedene Darstellungsweisen der Quantentheorie: die Heisenbergsche auf Diskontinuitäten aufbauende Matrizenmechanik und die weiterhin Kontinuitäten bevorzugende Schrödingersche Wellenmechanik. Beide können das Quantenproblem mathematisch formulieren. Als erkannt worden war, dass beide mathematischen Bilder formal ineinander übersetzbar sind, konnte Schrödinger es nicht akzeptieren, dass seine Wellenmechanik die Matrizenmechanik nicht ersetzt, sondern nur komplementär ergänzt. Sein Gedankenexperiment mit der bekannten Katze sollte für diese Ersetzung werben (Schrödinger 1935).

Bohr dagegen erkannte deutlich, dass es notwendig ist, beide Bilder miteinander zu verbinden. Wir haben die Möglichkeit, die Quantenwelt raumzeitlich mathematisch abzubilden (wie im Wellenbild), oder mit Hilfe von Energie-Impuls-Größen (wie in der Matrizenmechanik). Wenn wir eins der Bilder als alleinige Darstellung bevorzugen würden, würden wir die jeweiligen anderen physikalischen Größen negieren. Das ist aber nicht angemessen, denn praktisch können wir auch diese experimentell ermitteln. Wenn wir uns auf die weiter klassisch vorstellbare Wellenmechanik einschränken würden, wären wir wieder auf die Situation zurück geworfen, in der wir viele reale diskontinuierliche atomare Prozesse nicht erklären könnten. Die "Welt da draußen" zeigt uns also, welche mathematische Beschreibung zumindest nicht ausreichend ist. Bohr zeigte auch, dass die von Schrödinger bevorzugte raumzeitliche Darstellung auf der Vorstellung von harmonischen Wellen beruht, die selbst nicht ohne eine Energie-Impuls-Überlegungen erklärbar sind (Interferenzen) (Bohr 1928/1983, S. 113). Grundsätzlich zeigt uns diese Situation den Unterschied zwischen Darstellungs- und Beobachtungsraum (vgl. Röseberg 1984, S. 215, Fußnote 7).

Besonders die Debatten zwischen Einstein und Bohr vertieften unser Verständnis darüber, wie wir die Welt erkennen können. Nach Röseberg geht es dabei "nicht um die endgültige Lösung eines Widerspruchs als vielmehr um das Leben mit einem, sich auf jeder Erkenntnisstufe neu reproduzierenden Widerspruch":

Der Mensch kann als Erkenntnissubjekt nur in der gegenständlichen und theoretischen Auseinandersetzung mit dem Erkenntnisobjekt erkennen; gleichzeitig ist seine Erkenntnistätigkeit auf Erkenntnis objektiver, von dieser Tätigkeit unabhängiger gesetzmäßiger Beziehungen gerichtet. (Röseberg 1984, S. 207)

Die neue Sicht auf die Wirklichkeit hat auch Einfluss auf unsere Vorstellung über objektive Gesetze. Einstein vertrat noch den "mechanischen Materialismus", der "die Existenz objektiver Gesetze hervorgehoben und den Prozeß ihrer Erkenntnis vernachlässigt" (Röseberg 1984, S. 239) hatte. Röseberg stellt demgegenüber fest, dass entsprechend dem Komplementaritätsprinzip "die materiell-gegenständliche Einwirkung des erkennenden Subjekts auf das zu erkennende Objekt nicht völlig unabhängig vom ideell-theoretischen" (ebd.) sein kann. Röseberg kommt zu der Schlussfolgerung:

Das Subjekt vermag nur zu erkennen, indem es sich mit dem Objekt auseinandersetzt (materiell-gegenständlich und ideell-theoretisch). Die Subjekt-Objekt-Dialektik aber hebt die Frage nach der Quelle der Erkenntnis nicht auf und ist deshalb nicht identisch mit der Beziehung von Materie und Bewusstsein. Bei aller Kompliziertheit realer Subjekt-Objekt-Beziehungen bleibt die objektive Realität außerhalb und unabhängig von unsrem Bewusstsein die Quelle unserer Erkenntnis, ist das Primat der Materie gegenüber dem Bewusstsein erkenntnistheoretisch absolut. (Röseberg 1984, S. 240)

5.2 Objekte

Was Objekte einer Theorie sind, kann nicht vor der Theorie vorausgesetzt werden. Objekte einer (Quanten-)Theorie sind jene Entitäten, "die sich eben mit Hilfe der Quantentheorie, in der näher anzugebenden Weise beschreiben lassen" (Ludwig 1984, S. 83). Es geht darum, welcher "Träger" die untersuchten Wirkungen trägt. Solch ein Objekt ist kein "Wirklichkeitsklötzchen". Für die Quantentheorie ist eine bestimmte experimentelle Praxis ausschlaggebend, die dazu führt, dass wir zur mathematischen Darstellung der hier messbaren Größen hermitische (selbstadjungierte) Operatoren einführen, wie oben beschrieben. Dass Elektronen als "Wirkungsträger" (ebd., S. 432) andere Eigenschaften als die klassischen Massepunktobjekte haben, war der Ausgangspunkt der Entwicklung der Quantentheorie. Gerade das tiefere Verständnis der Art und Weise, wie reale Wirkungen verlaufen, führt dadurch auch zur Präzisierung der Vorstellung über Objekte, die der Struktur unserer Welt angemessen sind.

Wir hatten vielleicht erwartet, dass jedes physikalische System Träger solcher klassischen Größen, die Eigenschaften(wie die simultane Existenz von Ort und Impuls) beschreiben, ist. Wenn uns die Quantensysteme zeigen, dass sie jeweils entweder Ort oder Impuls besitzen, wenn wir ihn messen, zeigt sich, dass unsere Erwartung falsch war. Die Quantenwelt entspricht nicht unserer klassischen Vorstellung. Die Realität zeigt uns, wie sie "wirklich" ist – auch gegen unsere bisher bestätigten Erwartungen. Einige neue "Eisenpfosten" (in der Abbildung 14) zwingen uns, unsere Pappmachè-Konstrukte zu verändern. Einige der erwarteten Eigenschaften bekommt die Realität erst, wenn wir "nachschauen", d.h. wenn wir Ort oder Impuls messen. – sie kommen ihnen nicht ohne diese Art Wechselwirkung zu.

Ebenso zeigt sie uns, dass sie keine wirklich isolierten Quantensysteme kennt, ihre Systeme sind nicht abschließbar. Bohr sprach von einer "durch das Wirkungsquantum symbolisierten begrenzten Teilbarkeit der physikalischen Vorgänge" (Bohr 1929, S. 484). Jede Betrachtung auch nur eines Systems führt zu einer immanenten Statistik aufgrund der nicht aufhebbaren Wechselwirkungen (ohne dass das Problem auf eine Vielkörperstatistik zu reduzieren wäre).

Auch v. Weizsäcker ist sich bewusst, "dass die Quantentheorie von der Näherung getrennter Objekte bzw. Alternativen ausgeht, die sie selbst als fehlerhaft erweist" (v. Weizsäcker 1985/1988, S. 591, vgl. auch S. 617).

Wenn wir die Kopenhagener Deutung nicht als durch die Dekohärenztheorie abgelöst betrachten, kennen wir nun zwei typische Arten von Wechselwirkungen der Quantensystemen, die durch jeweils eine Interpretation analysiert werden:

  1. Wechselwirkung der Quantenobjekte mit den als klassisch betrachteten Messgeräten. (Kopenhagener Deutung).
  2. Wechselwirkung der Quantensystemen und klassischen Objekten mit ihrer "Umwelt" (Dekohärenztheorie), wobei offen bleibt, ob die Theorie damit eher in eine Mehrteilchentheorie übergeht (wenn als "Umwelt" die anderen Quantenobjekte betrachtet werden), oder eher qualitativ noch tieferliegende Schichten des Seins gemeint sein können (Vakuumfluktuationen etc.).

Die Vertreter der Dekohärenz-Ansicht betonen vor allem die Möglichkeit der quantentheoretischen Beschreibung der klassischen Welt – tendieren aber dazu, die spezifischen Qualitäten der klassischen Welt zu negieren. Im Entgegenwirken einer metaphysischen Trennung von Quanten- und klassischer Welt entsteht so ein Quantenreduktionismus, der den Eindruck erweckt zu behaupten: "So ist die Welt wirklich: nämlich verschränkt, quantenhaft... und nur die ständige Dekohärenz lässt uns ihre Eigenschaften als klassisch erscheinen." Diese ontologische Basisbehauptung ist jedoch nicht gerechtfertigt, weil sie die grundsätzliche onto-epistemische Einheit unseres Wissens vernachlässigt.

Beide Konzepte betonen die Nichtisolierbarkeit der jeweiligen Objekte. Unter diesem Gesichtspunkt erweist sich die Kopenhagener Deutung als Spezialfall der Dekohärenztheorie. In der Kopenhagener Interpretation wird die spezielle Wechselwirkung zwischen den vom Menschen manipulierten Gerätschaften und den Objekten in den Mittelpunkt gestellt – die Dekohärenztheorie ergänzt explizit, dass auch ohne Gerätschaften die Objekte selbst niemals als isolierte angenommen werden können.

Für das Verhältnis von dynamischen zu statistischen Gesetzen gilt:

Im wesentlichen ist also die nicht vollkommene Isolierung dafür verantwortlich, daß ein dynamisches Gesetz für reale Vorgänge gar nicht absolut gültig sein kann. (Konrad 1967, S. 1083)

5.3 Wissenschaftliche Theorien

In der Entwicklung der Quantentheorie und ihrer Interpretationen wurde wohl kein möglicher Irrtum ausgelassen – und jeder von ihnen wurde erkannt und führte zur Weiterentwicklung. Das grundlegend Neue, das auch für andere Theorien gilt, aber bei der Quantentheorie unübersehbar und zum Stolperstein geworden ist, ist die Tatsache, dass wir von keinen "sicheren Tatsachen" ausgehen können, die nur noch verallgemeinert zu werden bräuchten.

Es gibt kein Mittel, um endgültig gesicherte saubere Protokollsätze zum Ausgangspunkt der Wissenschaften zu machen. Es gibt keine tabula rasa. Wie Schiffer sind wir, die ihr Schiff auf offener See umbauen müssen, ohne es jemals in einem Dock zerlegen und aus besten Bestandteilen neu errichten zu können. (Neurath 1932, S. 206)

Jede Theorie beruht auf einer unauflösbaren Zirkularität:

"Diesseits" einer abstrakten Theorie ist die Welt der Phänomene, auf die sie angewandt wird. In der Folge der abgeschlossenen Theorien sind diese Phänomene zunächst in dem Vorverständnis interpretiert, das der mathematischen Theorie eine Semantik gibt. Das Ideal semantischer Konsistenz fordert dann, daß die so interpretierte Theorie das Vorverständnis erklärt. (v. Weizsäcker 1985/1988, S. 589)

Die Mathematik lässt reale Strukturen unbestimmt. Erst die Physik legt fest, "welche mathematisch möglichen Strukturen in der Natur "formal-möglich" sind und unter welchen Bedingungen sie realisiert werden." (v. Weizsäcker 1985/1988, S. 589-590).

6. Was Philosophen von der Quantentheorie lernen können

Die Quantentheorie fordert und bestärkt philosophischen Konzepte,

  1. die von einer jeweils spezifischen Einheit von Ontologie und Epistemologie, d.h. der "erkenntnistheoretischen Untrennbarkeit von Subjekt und Objekt" (v. Weizsäcker 1985/1988, S. 528), ausgehen und deren ontologischer Aspekt
  2. auf nichtnominalistischen Annahmen beruht.

Gerade die Ablehnung der nominalistischen Voraussetzungen der modernen auf Analytizität beruhenden Wissenschaftstheorie in meist positivistischer Tradition lässt nun holistische, ganzheitliche Gegenkonzepte oder direkt idealistischen Subjektivismus sprießen (z.B. Capra) Allerdings schießen die meisten dieser Ansätze weit über das Ziel, d.h. eine angemessene Betrachtungsweise hinaus.

Es ist nicht angemessen, die Annahme der Existenz einer Realität "da draußen" aufzugeben, aber wir müssen eine bestimmte Sicht der Realität aufgeben (vgl. Esfeld 2002, S. 209).

Subjektivistische Äußerungen der Klassiker der Quantentheorie sind zu verstehen als Abwehr des vorher vertretenen mechanischen, nominalistischen Realismuskonzepts. In der Kritik solcher Vorstellungen, auch des reduktionistischen Materialismus, bin ich mir auch mit Wigner einig, aber nicht in der kurzschlüssigen Ausschließung der nichtbewusstseinsmäßigen Quelle des Wissens, der Reduktion auf das Bewusstsein als "ultimative Realität".

Gerade die Erfahrung mit der Nichtisolierbarkeit der Quantenobjekte, und dass uns das überhaupt Probleme macht, zeigt uns, dass die Welt "in Wirklichkeit" komplex vernetzt ist und wir sie nur im klassischen Bereich annähernd isolieren konnten. Es zeigt sich, dass diese Isolierung unsere Zutat war und nicht der Welt "an sich" entspricht. Die "Welt da draußen" setzte unseren klassischen Methoden Grenzen; sie zwang uns die Erkenntnis auf, dass ihre Entitäten nicht wirklich isolierbar sind.

Es wäre nun an der Zeit, nicht nur die physikalische Konsistenz der Quantizität mit der Klassizität (wie in der Dekohärenztheorie) nachzuweisen, sondern auch philosophisch zu überprüfen, inweiweit die mechanizistische Interpretation der klassischen Physik überhaupt angemessen war, oder eine Unterstellung, die ihr nicht entspricht (siehe Fußnote 1!).

Letztlich zeigen uns die Interpretationsprobleme der Quantentheorie deutlich, wo die Grenzen nominalistischer, mechanizistischer Weltanschauungen liegen. Auch wenn Einzelwissenschaft nicht selbst dialektisch-begreifende Philosophie ersetzt, so zeigt sich doch ein gewisser "Zwang zur Dialektik" (Röseberg 1978, S. 118).

Dabei ist nicht zu erwarten, dass die widerspruchsfreien mathematisierten Theorien selbst die Dialektik endgültig erfassen könnten – jedoch zeigt es sich in der Wissenschaftsentwicklung, dass "jedes in Form logisch widerspruchsfreier mathematischer Strukturen unterstellte metaphysische Weltbild irgendwann zu eng wird" (ebd S. 238):

Die Alternative dazu ist nicht der Verzicht auf Weltbilder überhaupt, sondern die radikale Erneuerung eines solchen Weltbildes durch ein dialektische Widersprüche einschließendes, in Übereinstimmung mit dem wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt ständig zu präzisierendes Weltbild. (Röseberg 1984, S. 238)

Die Dialektik der Wissenschaftsentwicklung unterscheidet sich von der Hegelschen Dialektik dadurch, dass sich nicht die Begriffe selbst bewegen, sondern der Begriffswandel durch Experiment und messende Beobachtung erzwungen wird (ebd., S. 243).

Letztlich geht es aber nicht darum, die Ebenen von Philosophie (deren Thema Dialektik ist) und Physik (die eine spezifische Erkenntnisform darstellt) zu verwischen und Dialektik unmittelbar in der Physik auffinden oder in sie hineinbringen zu wollen. Die objektive Naturdialektik zeigt sich im einzelwissenschaftlichen Forschungsprozess als Problemantinomie, deren Lösungen stets neue Fragen aufwirft.

Naturdialektik läßt sich damit nicht als eigenständige Ontologie konstituieren; sie ist das Resultat dialektischer Verschmelzung von Ontologie und Erkenntnistheorie. (Röseberg 1984, S. 245)

Zur Erkenntnis der "Dialektik der Natur" gelangen wir deshalb nur in der sich dialektisch-widersprüchlich vollziehenden Wissenschaftsentwicklung und ihrer Untersuchung.

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