Quantenphysik und Lebensgestaltung
- Bemerkungen zur Kritik von Klaus Fuchs am mechanischen Determinismus -

von
Herbert Hörz

Vortrag auf dem Kolloqium zum Gedenken an Klaus Fuchs am 14.11.2003 in Berlin während des Kongresses der Leibniz-Sozietät und der Deutschen Gesellschaft für Kybernetik zum November 2003

Problemstellung

Die Beziehung von Quantenphysik und Lebensgestaltung ist ein Spezialfall des Verhältnisses von Physik und Philosophie, womit sich Klaus Fuchs in mehreren Arbeiten befasst hat. (Fuchs 1965, 1972. 1975, 1977) Er war berechtigt der Auffassung, dass sich aus den quantenphysikalischen Einsichten neue Herausforderungen an die Philosophie ergeben, die bis zum Verständnis der Determinanten menschlichen Erkennens und Handelns reichen. Philosophie als Welterklärung, Ideengenerator und weltanschauliche Lebenshilfe für Menschen analysiert neue Erkenntnisse der Physik, um ihre allgemeinen Aussagen zur Materiestruktur, zur Determiniertheit und Entwicklung des Geschehens und zur Natur-Gestaltung durch die Menschen zu überprüfen, zu präzisieren und eventuell philosophische Hypothesen daraus abzuleiten. Es ist die Frage zu beantworten, ob physikalische Einsichten in die Determinanten des Geschehens, solche Verallgemeinerungen stützen, die sowohl die Entstehung von qualitativ neuen Struktur- und Bewegungsformen als auch menschliche Freiheit begründen lassen. Diese beiden Problemaspekte beschäftigten Klaus Fuchs und führten zu dem theoretisch-philosophischen Ansatz, aus der Quantenphysik, über deren philosophische Interpretation, philosophische Haltungen zur Lebensgestaltung zu begründen. In diesem Sinne werden wir uns mit seiner Kritik am mechanischen Determinismus befassen. Seit Mitte der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts gab es, vor allem nach der Aufstellung der Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelationen, eine umfangreiche Diskussion um den Determinismus, die nach 1945 neuen Aufschwung erhielt. Die mit dem Laplaceschen Dämon verbundene Vorstellung, dass eine umfassende Intelligenz in der Lage sei, bei Kenntnis der Orte und Impulse der Atome alle zukünftigen Bewegungen voraussagen zu können, war durch die Feststellung erschüttert, Ort und Impuls nicht gleichzeitig messen zu können. Werner Heisenberg meinte, dass die Feststellung, das Prinzip der Kausalität sei mit der modernen Atomlehre nicht mehr vereinbar, sehr unklar sei, "solange die Begriffe Kausalität oder Gesetzlichkeit nicht genügend geklärt sind." (Heisenberg 1955, 24) Nach ihm sind die mit dem Kausalitätsverständnis verbundenen Forderungen, nach denen es möglich sei, die Zukunft exakt vorauszusagen, durch die statistische Denkweise eingeschränkt, "da die unvollständige Kenntnis eines Systems ein wesentlicher Bestandteil jeder Formulierung der Quantentheorie sein muß." (Heisenberg 1955, 29) Die Kritik richtete sich gegen die Gleichsetzung von Ablaufkausalität, Gesetzmäßigkeit, Vorausbestimmtheit und Voraussagbarkeit des Geschehens. Es ist jedoch zu beachten, dass sich die Erkenntnis der Beziehungen von Kausalität und Gesetz in verschiedenen Stufen vollzog, die sich prinzipiell voneinander unterscheiden. So verwies Aristoteles auf vier Ursachengruppen, nämlich die causa efficiens, die causa materialis, die causa formalis und die causa finalis, die in der Laplaceschen Stufe auf den vorausbestimmten Ablauf des Geschehens eingeschränkt wurden, während die Kopenhagener Interpretation der Quantentheorie die Rolle des Zufalls hervorhob. Die Bohrsche Erkenntnisstufe ist mit dem Übergang von der vorherrschenden linearen Denkweise des 18. und 19. Jahrhunderts zur nicht-linearen Denkweise verbunden. Klaus Fuchs versuchte mit anderen, einen theoretischen Weg zu finden, der Indeterminismus ausschloss und die Kritik am mechanischen Determinismus konstruktiv aufgriff. Er betonte deshalb die Einheit von Notwendigkeit und Zufall in der Möglichkeit. (Fuchs 1972) Die Existenz objektiver Möglichkeiten, verbunden mit der Dialektik von Notwendigkeit und Zufall, bot ihm die theoretische Voraussetzung, um das Entstehen des Lebens und der menschlichen Gesellschaft philosophisch zu erklären und die Forderung nach aktivem menschlichen Handeln zur Gestaltung eigener Lebensbedingungen zu begründen. Diese Probleme waren zugleich Forschungsgegenstand unserer wissenschaftsphilosophischen Einrichtungen, so des seit 1959 bestehenden Lehrstuhls "Philosophische Probleme der Naturwissenschaften" an der Humboldt-Universität und des seit 1973 am Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR (AdW) von mir konzeptionell initiierten und entwickelten Bereichs "Philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung". Daher ist es berechtigt, der weiteren Entwicklung der damals von Klaus Fuchs und anderen behandelten Fragen nach der Rolle der Quantenphysik für die Philosophie nachzugehen. (Hörz 2002) Ich werde dazu die statistische Gesetzeskonzeption kurz charakterisieren und ihre Relevanz am Beispiel der Interpretation der Schrödingergleichung und zur Beantwortung philosophischer Fragen der Sozial- und Geisteswissenschaften mit der Diskussion um Kausalität im Bereich des Strafrechts zeigen. Zuerst jedoch einige persönliche Anmerkungen.

Persönliches

Quantenphysik und Lebensgestaltung war ein Thema, das mich schon lange beschäftigte. Da ich in meiner 1959 fertiggestellten Dissertationsschrift die philosophische Bedeutung der Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelationen behandelt hatte, interessierten mich die durch die moderne Physik erzwungenen Präzisierungen philosophischer Aussagen zu Kausalität, Gesetz und Zufall in ihrer Bedeutung für die Erklärung menschlichen Handelns. Natürlich konnten die Determinationsformen anorganischer Prozesse nicht einfach auf das Leben und die sozialen Systeme übertragen werden, da Menschen in der Lage sind, sich theoretisch mit der Wirklichkeit zu befassen, indem sie die Determinanten ihres eigenen Erkennens und Handelns analysieren und Antizipationen der Zukunft zur Grundlage ihrer Zielstellungen für die effektive und humane Gestaltung ihrer Lebensbedingungen machen. Doch mit der durch die Quantenphysik begründeten Rolle des objektiven Zufalls im Naturgeschehen fiel eine bisher für unüberwindbar gehaltene theoretische Grenze zwischen der Naturkausalität als der unabdingbaren Notwendigkeit und dem Zweckhandeln als Ausdruck des freien Willens. Die Bindeglieder waren aufzudecken, womit ich mich in der Publikation "Der dialektische Determinismus in Natur und Gesellschaft" (Hörz 1962) und in dem Buch "Atome, Kausalität, Quantensprünge. Quantentheorie philosophisch betrachtet" (Hörz 1964) befasste. In Moskau, wo ich zum Studienaufenthalt 1964/65 war, hatte ich am Manuskript zum Buch "Werner Heisenberg und die Philosophie" (Hörz 1966) gearbeitet und war nun gespannt, wie die Problematik auf dem im April 1965 stattfindenden philosophischen Kongress in Berlin behandelt würde. In der DDR wie in der Sowjetunion gab es verschiedene Richtungen bei der Interpretation der Quantenphysik. So bevorzugten einige die kausale Erklärung mit verborgenen Parametern als dialektisch-materialistische Interpretation, wie etwa Walter Hollitscher, mit dem ich viel über Probleme der Naturphilosophie diskutierte. Man konnte in der Auseinandersetzung um die dialektisch-materialistische Interpretation der Quantenmechanik im wesentlichen drei Argumentationslinien erkennen (Hörz 1964), die sich zum ersten mit A. Einstein auf die Unvollständigkeit der Quantenmechanik beriefen und in seinem Sinn eine vollständige deterministische Theorie forderten, da Gott nicht würfle. In dieser Richtung argumentierte z.B. I.P. Terletzki, unterstützt durch Arbeiten von J.P. Vigier und D. Bohm. Die zweite Linie war mit der Ensembletheorie von D.I. Blochinzew verbunden, mit der jedoch das Verhalten der einzelnen Teilchen außerhalb der Betrachtung blieb. Drittens versuchte V. Fock zu zeigen, dass die Kopenhagener Interpretation der Quantenmechanik mit dem dialektischen Materialismus vereinbar sei. Mir ging es darum, mit dem dialektischen Determinismus und der statistischen Gesetzeskonzeption zu zeigen, dass eine deterministische Ergänzung nicht erforderlich ist, das Verhalten der Teilchen im Ensemble mit der Dialektik von Möglichkeit (Welleneigenschaften der Elementarobjekte mit stochastischer Verteilung des Systems) und Wirklichkeit (Realisierung einer Möglichkeit aus der stochastischen Verteilung mit probalistischer Übergangswahrscheinlichkeit) sowohl in der Heisenbergschen Theorie als auch mit der Schrödingergleichung erfassbar sind und so die rationalen Elemente aus der Kopenhagener Deutung mit der Komplementaritätsthese Bohrs als theoretischer Ahnung dialektischer Widersprüche, mit der Rolle des Beobachters als Hinweis auf die objektive Wechselwirkung und mit den Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelationen als Nachweis der dialektischen Einheit von Ruhemomenten (Orte) und Übergängen (Impulse), die nur Momente der Bewegung erfassen. Letzteres zeigte sich schon in den Aporien von Zenon und bestätigte sich im Übergang vom Differenzen- zum Differentialquotienten. So waren die Bohrschen und Heisenbergschen Überlegungen nicht als Agnostizismus zu fassen, wie manche dialektische Materialisten meinten, sondern als tieferes Verständnis der Dialektik von Ruhe und Übergang von einem Ruhepunkt zum anderen in der Bewegung. Die Sprache der Physik hatte mit Ort und Impuls beide getrennt. Nun wurde ihr Zusammenhang sichtbar, mit Konsequenzen für unsere Bewegungs- und Determinismusauffassung. (Hörz 1966) Ich war also gespannt, wie auf dem Philosophiekongress der DDR diese Auseinandersetzung um mögliche dialektisch-materialistische Interpretationen geführt würde. Klaus Fuchs hielt das entsprechende Referat auf dem Kongress zum Thema "Moderne Physik und marxistisch-leninistische Philosophie". Ich sprach dazu in der Diskussion zum Thema "Philosophische Hypothesen und moderne Physik". In den Ausführungen von Klaus Fuchs fand ich viele Übereinstimmungen mit meinem grundsätzlichen Herangehen. 1975 traten wir beide auf der Konferenz zu "75 Jahre Quantentheorie" auf, er zu einem philosophischen Thema "Theorie-Wahrheit-Wirklichkeit" (Fuchs 1977) und ich zu "Philosophische Aspekte der Quantenmechanik" (Hörz 1977). Ausführlichere Diskussionen gab es in dieser Zeit zwischen uns nicht. Das war erst der Fall, als wir beide eine Zeitlang gemeinsam dem Präsidium der AdW angehörten, auf dessen Sitzungen, vor allem in Vorbereitung auf Plenartagungen, theoretisch-philosophische Probleme nicht selten eine Rolle spielten. Wir fanden uns beide zwar in der Verteidigung materialistisch-dialektischer Positionen, doch schien mir immer eine bestimmte Distanz spürbar zu sein, als ob er nicht ganz glaube, dass ich seine Auffassungen teile. Tatsächlich versuchte ich, seine Gedanken, die ich für anregend hielt, philosophisch weiter auszubauen und in meine Konzeption des dialektischen Determinismus einzubauen, der die statistische Gesetzeskonzeption als Kernpunkt enthielt. Ob er meine Arbeiten kannte, weiß ich nicht. Seine Neffe Klaus Fuchs-Kittowski erzählte mir, dass er intensiv die Thesen studierte, die ich Anfang der sechziger Jahre zum Verhältnis von Determinismus und Gesetzmäßigkeit für die erste interdisziplinäre Konferenz unseres Bereichs an der Humboldt-Universität ausgearbeitet hatte, auf der ich dann selbst zum Verhältnis von Determinismus und Physik sprach. (Hörz 1963) Vehement wandte sich Klaus Fuchs in einer Präsidiumsdiskussion gegen meine These von den Zufällen als Störfaktoren des Geschehens. Ich hatte auf verschiedene Aspekte des Zufalls verwiesen, auf die unwesentliche zufällige Abweichung von Regularitäten, auf die zufällige Verwirklichung von Möglichkeiten im Elementverhalten eines Systems als Bestandteil der statistischen Gesetzesstruktur, auf die wesentlichen Zufälle in der Gesetzesstruktur, auf die äußere Störung, die das System deformieren kann und auf den innovativen Zufall für die Entstehung von Neuem. Er griff nur die Störfaktoren heraus, um zu betonen, der Zufall sei dem Geschehen immanent. Im nachfolgenden Gespräch, das wir zu dieser Problematik dann führten, anerkannte er zwar, dass ich nur einen Aspekt mit den Störfaktoren benannt habe, verwarf den Terminus jedoch, weil er den Zufall als etwas dem Geschehen Äußeres erscheinen lasse. Doch die äußere Einwirkung auf ein System mit inneren Determinanten ist eine Störung. Wir können sie jetzt als Fremdorganisation sich selbst organisierender Systeme bezeichnen. (Hörz 1993) Doch kommen wir nun zu seinen Argumenten für den Zusammenhang von Quantenphysik und Lebensgestaltung.

Klaus Fuchs zur weltanschaulichen Relevanz philosophischer Auseinandersetzungen

In seinem Referat zum Verhältnis von Physik und Philosophie auf dem philosophischen Kongress 1965 gab er drei Gründe dafür an, warum philosophische Fragen gegenwärtig auf der Tagesordnung stehen. (Fuchs 1965, 59f.) Erstens konstatierte er einen Zwiespalt im Lager der materialistischen Physiker und Philosophen. Mit der Kritik an einer positivistischen Deutung versuchten manche, die Quantentheorie selbst abzulehnen und zum mechanischen Materialismus zurückzukehren, was er für falsch hielt. Zweitens verlange die Verkürzung der Zeit zwischen Entdeckung und Produkionsverwertung, dass die in der Produktion tätigen Wissenschaftler und Techniker mit den Grundprinzipien der Naturwissenschaften genügend vertraut sein müssen, um mechanische Vorstellungen in anschaulichen Modellen, die oft an sie herangetragen werden, zurückweisen zu können. Drittens versuchen Naturwissenschaftler durch die Einordnung eigener Erfahrungen in ein Weltbild, die "eigene Rolle im gesamten Leben zu verstehen und daraus abzuleiten, in welchem Sinne er selbst handeln muß." (Fuchs 1965, 60) Er sah also im Verhältnis von Philosophie und Naturwissenschaften vor allem drei Aufgaben der Philosophie: Herstellung innerer Klarheit bei der Interpretation der Physik, Verwertung der Grundlagenerkenntnisse in der Produktion auf der Grundlage dialektisch-materialistischer Philosophie und die Rolle philosophischer Interpretationen für die Lebensgestaltung. Im letzteren Sinne spricht er von drei Möglichkeiten der materialistischen Interpretation. Erstens kann der Wissenschaftler einem "pessimistischen Materiebegriff der klassischen Physik" anhängen, nach dem die Welt eine "aufgezogene Maschine" ist, "die mit unerschütterlicher Sicherheit entsprechend der Logik der Naturgesetze ihren prädeterminierten Verlauf nimmt, so daß sein eigenes Denken und Wollen, seine Ideen, seine Freuden und Leiden nur eine Begleitmusik sind, die auf den Ablauf der Prozesse keinen Einfuß haben." (Fuchs 1965, 60) Zweitens wäre eine Kluft zwischen den verschiedenen Bewegungsformen der Materie und vor allem zwischen toter und lebender Materie und der Welt des Geistes möglich. Das Entstehen höherer Bewegungsformen, ob spontan oder durch göttlichen Eingriff, wäre dann nicht zu begreifen. Das führe ebenfalls zum Pessimismus, denn wie solle der Mensch sein Geschick selbst bestimmen, wenn die Enstehung von Neuem prinzipiell unbegreifbar ist. Im dialektischen Materiebegriff sieht er drittens die Lösung der Probleme durch die Anerkennung der inneren Selbstbewegung auf der Grundlage dialektischer Widersprüchlichkeit, was zu neuen Entwicklungsmöglichkeiten führt. Naturwissenschaftler begreifen sich dann mit ihren Wünschen und Idealen als Teil gesellschaftlicher Widersprüche, die zu lösen sind, um zu einer höheren Form der menschlichen Gesellschaft zu gelangen. Aus quantenphysikalischen Überlegungen zieht Fuchs philosophische Konsequenzen. Durch die Betonung objektiver Möglichkeiten, die er mit Hinweis auf die Interpretation von Fock als Präzisierung des Determinismusbegriffs sieht, sind höhere Entwicklungsstufen zu erklären. Er grenzt sich durch Hervorhebung des objektiven Zufalls vom absoluten Determinismus ab, der "erklärt, daß die objektiven Gesetzmäßigkeiten alle Aspekte eines Prozesses bestimmen, sowohl die wesentlichen als auch die unwesentlichen." Vom Indeterminismus und vom absoluten Determinismus "unterscheidet sich der dialektische Determinismusbegriff, nach dem die objektiven Gesetzmäßigkeiten zwar die wesentlichen Züge, aber nicht unbedingt alle Aspekte eines Prozesses determinieren, so daß hier verschiedene Möglichkeiten objektiv vorhanden sein können." (Fuchs 1965, 62) Diese Gedanken liegen in der Richtung, wie ich sie in der Konzeption des dialektischen Determinismus vorgelegt habe. Doch bleiben für eine in sich konsistente philosophische Theorie einige Probleme offen. Wie steht es mit der Determination von Ereignissen, die durch ein System von Gesetzmäßigkeiten bestimmt sind? Es geht um die Einsicht in wesentliche Kausalbeziehungen, wie sie in der Rechtsprechung relevant sind. Wie ist der Wechsel von Unwesentlichem zu Wesentlichem zu erfassen? Es ist nicht nur die These zurückzuweisen, was Fuchs macht, der Zufall sei eine unwesentliche Erscheinung, sondern das Wesen ist stets für konkrete Prozesse als das zu erfassen, was den Charakter der Erscheinung in seiner Qualität bestimmt. Wie ist das Verhältnis von durchgängiger Kausalität und Gesetz zu erklären? Dazu ist die Auffassung von Kausalität neu zu bestimmen und nicht einfach an die Notwendigkeit zu binden. Welche Rolle spielen Zufälle? Sie sind wie schon gezeigt, in ihren verschiedenen Erscheinungsformen differenziert zu fassen. Die angedeuteten Antworten auf die Fragen beantworte ich in der statistischen Gesetzeskonzeption, die sich mit dem Verhältnis von Kausalität, Gesetz und Zufall befasst, die Modifizierung von Gesetzen erklärt und neben der Struktur von Gesetzen auch die Struktur wesentlicher Kausalbeziehungen untersucht. Mit der prinzipiellen Kritik am mechanischen Materialismus und Determinismus, verbunden mit der Hervorhebung objektiver Möglichkeiten, löste Fuchs die beiden von ihm benannten Probleme. Höhere Bewegungsformen können aus niederen entstehen und Freiheit ist möglich. Freiheit des Menschen sieht er in der Bestimmung des Lebens durch die innere Notwendigkeit des menschlichen Wesens und die Bewahrung der Menschlichkeit auch unter unmenschlichen Bedingungen. (Fuchs 1965, 70) Dazu nutzt er den Terminus der "stärkeren Determinierung", um den Übergang von einer niederen zu einer höheren Bewegungsform zu erfassen. (Fuchs 1965, 67) Als Beispiel nennt er ein Hühnerei, das, wenn es einmal quantenphysikalisch beschrieben werden könnte, unendlich viele Möglichkeiten biete, von denen viele sicher keinem Hähnchen gleichen würden. Etwa könnte auch ein faules Ei zur Verwesung führen. Deshalb nahm er eine stärkere Determinierung aus der inneren Selbstbewegung an, die das Entstehen eines Hähnchens aus dem Ei erkläre. Nach Fuchs lässt "die Quantentheorie für ein komplexes System ein weites Feld von Bewegungsmöglichkeiten offen", das "durch weitere spezifisch biologische Determinierung eingeschränkt werden kann." (Fuchs 1975, 40) Der Gedanke wird auch für die Erklärung der Freiheit herangezogen. "Der Begriff der Freiheit ist daher nicht dem Begriff des Indeterminismus gleichzusetzen. Er beinhaltet im Gegenteil eine verstärkte Determinierung, eine Selbstdeterminierung aus dem inneren Wesen des Menschen heraus." (Fuchs 1965, 67) Fuchs polemisiert gegen die These von der Freiheit als Einsicht in die Notwendigkeit, die ihm zwar Mittel für die Erfüllung seines Strebens geben könne, doch nicht das Ziel bestimme, für eine menschenwürdige Gesellschaft zu kämpfen. Diese konzeptionellen Ideen stimmten mit manchen meiner philosophischen Überlegungen überein. Es gab jedoch auch Unterschiede. Deshalb möchte ich einige Bemerkungen zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden machen: Erstens: Der prinzipiellen Kritik am mechanischen Materialismus und Determinismus mit der Hervorhebung der Möglichkeit als Einheit von Notwendigkeit und Zufall konnte ich nur zustimmen. Damit unterstützte er als Physiker die philosophische Front derer, die sich gegen diejenigen wandten, die mit Einstein, die Quantenphysik als unabgeschlossen erklärten und eine mechanisch-deterministische Ergänzung, etwa mit verborgenen Parametern, suchte. So hatte Hollitscher in den Vorlesungen zur Naturdialektik von 1949/50 an der Humboldt-Universität betont, "daß ich angesichts der Unabgeschlossenheit der Quantentheorie keinen triftigen Grund dafür sehe, die These von der 'prinzipiell nicht eindeutig kausalen Ordnung' der Quantenvorgänge zu akzeptieren, ja, daß mir viele Gründe bekannt sind, die allen Anlaß zur Skepsis gegenüber dieser Behauptung geben." (Hollitscher 1991, 46) Er berief sich dabei auf Einstein, der die Quantenmechanik als unabgeschlossene Theorie sah und auf eine direkte (kausale) Beschreibung der Wirklichkeit wartete. Hollitscher sprach von "Quantenmystik" als Neuauflage des philosophischen Subjektivismus und Irrationalismus. (Hollitscher 1991, 164) Heisenberg habe seine Entdeckung zur positivistischen "Unbestimmtheitsphilosophie" aufgebläht, denn in "ihr wird der unvollständige Zustand unseres gegenwärtigen Wissens zum Prinzip erhoben und verabsolutiert." (Hollitscher 1991, 179) Mit Hinweis auf die Arbeiten von D. Bohm und J.-P. Vigier meinte Hollitscher: "Die grundsätzliche Möglichkeit einer prinzipiell deterministischen Theorie der Quantenvorgänge wurde gezeigt." (Hollitscher 1991, 182) Gegen solche Auffassungen führte Klaus Fuchs ein erkenntnistheoretisches Argument an, das seinem dialektischen Denken entsprach, denn seine Schlussfolgerung sei der von Einstein und von bestimmten Marxisten genau entgegengesetzt. Sie lautet: "Solange wir eine Theorie besitzen, die nur eindeutige Aussagen über die Naturprozesse macht, solange sind wir immer noch an der Oberfläche der Erscheinungen und solange kann die Theorie nicht vollständig sein. Erst wenn wir in den widersprüchlichen Charakter der Materie eindringen, erst dann können wir sagen, 'ja jetzt haben wir zumindest einen Zipfel des Charakters der Materie erfaßt', mit all den verschiedenen Möglichkeiten, die sich aus ihrem widersprüchlichen Charakter ergeben." (Fuchs 1965, 63) Damit wandte er sich auch gegen diejenigen, die in der philosophischen Interpretation der Quantenmechanik als dialektischer Einheit von Notwendigkeit und Zufall in der Potentialität eine Form des Agnostizismus sahen, weil keine vollständige Erkenntnis der Momente der Bewegung vorlag. Der im Argument enthaltene Gedanke, die Geschichte von Entdeckungen, Erfindungen, Theorien und Hypothesen, als tieferes Eindringen in die Hegelsche Einheit von Gegensätzen zu verstehen, ist wichtig. Einerseits verweist er darauf, dass die Untersuchung bestimmter Aspekte des Geschehens, wie etwa der Korpuskel- oder Welleneigenschaften von Elementarobjekten, nicht beim Gegensatz stehen bleibt, sondern zur Synthese führen kann, wie es dann in den Überlegungen zum Wellen-Korpuskel-Dualismus und in der Interpretation der Quantenmechanik geschah. Es ist möglich, wie ich zeigte, das philosophisch als Einheit von Wirkungsmöglichkeiten des Teilchenverhaltens (Wellencharakter) und konkreter Möglichkeitsrealisierung (Korpuskelcharakter) zu erfassen. (Hörz 1964). Andererseits sind solche Zyklen von These und Antithese oft noch nicht bis zur Synthese geführt. Das macht Geschichte zu einer aktuellen Theorie mit heuristischen Hinweisen zur Suche nach Synthesen für die gefundene Einheit von Gegensätzen. Fuchs plädierte also dafür, nicht einen Aspekt des wirklichen Geschehens als Grundlage der Theorieentwicklung zu nehmen, um Vollständigkeit einer Theorie als Problemreduktion zu erreichen, sondern die verschiedenen, einander widersprechenden Aspekte, in einer Theorie zusammenzuführen, wie es die Quantenphysik tat. Zweitens: Die Formulierung von der stärkeren Determinierung höherer Bewegungsformen ist m.E. problematisch. Das könnte so verstanden werden, als ob der Mensch das am stärksten determinierte und damit höchste Entwicklungsprodukt sei. Deshalb setzte ich an die Stelle der stärkeren Determinierung die Überlegung, die mit der Theorieentwicklung und den Erfahrungen übereinstimmt, dass andere, neue und qualitativ höhere Struktur- und Entwicklungsformen völlig neue Möglichkeitsfelder aufbauen. Ihr Entstehen ist die Verwirklichung einer der Möglichkeiten aus den vorangegangenen Möglichkeitsfeldern einer niederen oder anderen Struktur- und Bewegungsform. So muss Leben physikalisch möglich sein. Es bedarf jedoch zum Entstehen bestimmter Bedingungen, die sich herausbilden und zu einem völlig neuen Möglichkeitsfeld, wie dem Enstehen und Vergehen von Arten usw. führen. Es ist also nicht die stärkere, sondern die andere wesenseigene Determinierung, die neue Spielräume für das Geschehen erschließt. Denkt man die Überlegung von der stärkeren Determinierung von der anorganischen Bewegungsform über das irdische Leben bis zum Menschen und der menschlichen Gesellschaft, wie sie Fuchs anstellte, weiter, dann könnte man zu Konsequenzen kommen, die mit der dialektischen Konzeption von ihm nicht mehr übereinstimmen. Es wäre ein mechanischer Determinismus der Entwicklung von Niederem zu Höherem, ein gewisser Evolutionsautomatismus daraus abzulesen, der mögliche existierende außerirdische Wesen, die vernunftbegabt antizipieren und andere, mit den irdischen zwar koexistierende, doch von ihnen unterschiedene, Linien des Evolutionsgeschehens, außerhalb der philosophischen Überlegung läßt. Insofern sind stärkere Determinierung in einer Evolutionsrichtung, neue Potentialität und die Unerschöpflichkeit des Geschehens im dialektischen Determinismus zusammenzudenken. Die Hervorhebung der "stärkeren Determinierung" aus diesem Geflecht könnte einseitige Entwicklungsauffassungen begünstigen, denen Klaus Fuchs sicher nicht zugestimmt hätte. Diese Überlegung hat Konsequenzen für die Dialektik der Erkenntnis. Betrachtet man bestimmte Entwicklungslinien, dann kann man daraus die Hypothese ableiten, dass vorhergehende Systemmöglichkeiten den Rahmen für zukünftige neue Möglichkeitsfelder abgeben, weshalb die Theorie der niederen oder vorhergehenden Struktur-, Bewegungs- und Entwicklungsform eine Rahmentheorie für das Verhalten des neuen Systems ist. Physik ist so Rahmentheorie jeden Geschehens. Was sie als unmöglich betrachtet, wird nicht entstehen. (Fuchs 1975) Nur ist dabei die Entwicklung der Physik selbst zu beachten. Immerhin gab es Gegner der Theorie, der Mensch könne fliegen, weil die Physik durch die Erkenntnisse der Schwerkraft dagegen spräche. Kommt es also zu Differenzen zwischen Physik und anderen Wissenschaftsdisziplinen bei ihren theoretischen Aussagen, so ist das eine Herausforderung, entweder die Physik zu entwickeln oder die widersprechende Aussage in Einklang mit der Physik zu bringen. Nutzt man den Gedanken der Rahmentheorien heuristisch, dann sind aus einer Physik der Evolution, aus einer Chemie der Lebensprozesse, wie schon erfahren, neue Erkenntnisse zu gewinnen. Doch auch die genetisch-biotischen Grundlagen der Lebensprozesse, die psychischen Mechanismen menschlichen Verhaltens usw. sind zu berücksichtigen. Drittens: Freiheit ist nach Fuchs die wesenseigene Gestaltung ihrer Lebensbedingungen durch die Menschen. Als Sozialist war er von der Herausbildung einer menschlichen Gesellschaft überzeugt, deren Anfänge er im realen Sozialismus sah. Doch auch hier lehren uns die Erfahrungen der Systemtransformation von der Staatsdiktatur des Frühsozialismus zur Kapitaldiktatur mit ihren bürokratisch-rechtlichen und monetären Strukturen, dass wir bei weitem noch nicht den "theoretischen Zipfel" zum Verständnis der widersprüchlichen Entwicklung sozialer Systeme in der Hand haben, von dem Fuchs sprach. Mit dem derzeitigen Utopiedefizit und der Wiederholung der These von der Allmacht des Marktes ist die Problematik einer zukünftigen humanen Gesellschaft, die sich nicht selbst zerstört, ihre natürlichen Lebensbedingungen menschenfreundlich gestaltet und die Lebensqualität mit Hilfe wissenschaftlich-technischer Humanpotentiale für alle Menschen erhöht, nicht geklärt. In meinem Verhaltensmodell zum Freiheitsgewinn spielen deshalb die Antipoden Neid und Liebe eine entscheidende Rolle zum Verständnis der Evolution sozialer Systeme. Der Evolutionsspielraum eines sozialen Systems ist abhängig von der Toleranz und damit der demokratischen Lösung immer vorhandener Widersprüche zwischen konservativen, d.h. systemerhaltenden, und reformerischen, d.h. systemverändernden, Kräften. (Hörz 1993) Bei Klaus Fuchs überwogen, wie für viele andere der Aufbaugeneration der DDR, manche Illusionen die systemkritische Analyse, die die Deformierung sozialistischer Ideale in der Praxis des Macht- und Wahrheitsmonopols einer kleinen Schicht von Politbürokraten aufzudecken gehabt hätte, wenn man den theoretischen Ambitionen des dialektischen Determinismus weiter gefolgt wäre. Doch unsere Hinweise auf die Offenheit der Zukunft, auf Entwicklungszyklen mit Stagnationen und Regressionen, auf die einzuplanenden Risiken, auf die Demotivationen durch Unmündigkeit usw. verhallten unberücksichtigt.

Dialektischer Determinismus und statistische Gesetzeskonzeption

Die Ausarbeitung des dialektischen Determinismus mit der statistischen Gesetzeskonzeption war ein Prozess, der vor allem durch die Ergebnisse der Quantenphysik gefördert wurde. (Hörz 1980) Mit dem dialektischen Determinismus haben wir erstens die Grundkonzeption, nach der die Determiniertheit des Geschehens zwar existiert, aber nicht im Sinne einfacher direkter Notwendigkeit, sondern in verschiedenen Formen des Zusammenhangs. Vor allem der Zufall als mögliche zukünftige Verhaltensweise ist zu beachten, der dazu führt, dass sich aus einem Möglichkeitsfeld unter bestimmten Bedingungen verschiedene Möglichkeiten nach einer stochastischen Verteilung aufbauen, wobei Wahrscheinlichkeiten den Übergang von einem Zustand zum anderen bestimmen. Zweitens geht es um die Überlegung: Was bedeutet das für die Physik? Der dialektische Determinist nimmt die Quantenmechanik als Zufallstheorie ernster als andere. Man kann zwar fordern, wie es Hollitscher und andere taten und noch tun, den objektiven Zufall so aus der Theorie zu entfernen, dass man einen durchgängigen Zusammenhang annimmt, der keine Unterschiede zwischen notwendigen und zufälligen, möglichen und wirklichen, wesentlichen und unwesentlichen Zusammenhängen zulässt. Eben das führte zur Annahme verborgener Parameter ohne physikalische Relevanz. Doch damit hat man gerade die Dialektik aufgegeben und das Wesentliche der Quantenphysik verkannt. Mit dem dialektischen Determinismus gibt es drittens keine Probleme mit dualistischen Auffassungen, wie etwa dem Welle-Korpuskel-Dualismus, da sie eine Einheit von Gegensätzen repräsentieren, deren Synthese theoretisch anzustreben ist. So ist es möglich, die statistische Konzeption zu erweitern und auf andere Gebiete, einschließlich des menschlichen Handelns, anzuwenden. Freiheit wird begründbar. (Hörz 1980) Was ich in der marxistischen Tradition "Dialektischer Determinismus" nannte, ist in anderen Zusammenhängen auch als "soft determinism" bezeichnet worden, um auf die Relevanz des objektiven Zufalls und der statistischen Gesetze zu verweisen. In einer neueren Studie für ein EU-Projekt zum Verhältnis von Kausalität, Emergenz und Selbstorganisation, nutzte Annette Schlemm statt des Ausdrucks "statistisches Gesetz" die Bezeichnung "Integrated law". Sie hatte bei der Debatte festgestellt, dass die Dichotomie von dynamischen und statistischen Gesetzen weiter in den Köpfen vieler Diskussionsteilnehmer herumspukt und dadurch das Wesen der statistischen Konzeption, die Verbindung von dynamischen, stochastischen und probabilistischen Aspekten nicht begriffen wird, da durch den Terminus "statistisch" die Konzeption auf einen Gesetzestyp eingeschränkt wird. Ausdrücklich stellt sie zur getrennten Sicht auf die dynamischen und statistischen Gesetze fest: "In the 1970s Herbert Hörz integrated the two views into one notion of law. He called it the 'statistical notion of law', because the statistical view can include the dynamical view. But I suggest using the term 'integrated notion of law' in order to avoid a confusion with the 'pure' statistical notion ..." (Schlemm 2003, 58) Ich halte den Terminus des integrierten Gesetzes für angemessen, bleibe jedoch aus historischen Gründen bei der Bezeichnung "statistische Gesetzeskonzeption". Sie ist als Denkprovokation für die entstanden, die sich auf eine deterministisch-dynamische Ergänzung der Quantenphysik mit Einstein einstellten und deshalb die Quantenmechanik als unvollständig betrachteten, da Gott nicht würfle. Sicher wird es weitere Theorien geben, die Quantenphysik sich weiter entwickeln und es ist die Synthese von Quanten- und Relativitätstheorie anzustreben. Doch hinter die Anerkennung des objektiven Zufalls als eines wichtigen Meilensteins in der menschlichen Erkenntnis wird keine Theorie zurückgehen. Es war und ist erforderlich, mit der Quantenphysik Auffassungen zu Kausalität, Gesetz und Zufall zu präzisieren. In der von unserer Forschungsgruppe erarbeiteten Publikation zur materialistischen Dialektik in der physikalischen und biologischen Erkenntnis, stellten wir mit Hinweis auf Klaus Fuchs fest: "In philosophischer Verallgemeinerung des gesicherten Erkenntnisstandes der Quantenmechanik konnte innerhalb des dialektischen Determinismus eine tragfähige Konzeption statistischer Gesetze entwickelt und die auf ein metyphysisches Kausalitäts- und Determinismusverständnis zurückgehenden Behauptungen von der Akausalität und dem Indeterminismus mikrophysikalischer Phänomene konstruktiv zurückgewiesen werden." (Hörz, Röseberg 1981, 173f.) Leider konnte die Überarbeitung des Buches mit weiteren Konsequenzen für die Beziehungen von Naturwissenschaft und Philosophie und damit auch für das von Klaus Fuchs betrachtete Verhältnis von Quantenphysik und Lebensgestaltung unter dem Thema "Dialektik der Natur und der Naturerkenntnis", das 1989 schon in den Korrekturfahnen beim Akademie-Verlag vorlag, nicht mehr gedruckt und ausgeliefert werden, da es der 1990 nach der Übernahme der DDR durch die BRD erfolgten "Bücherstürmerei" mit dem Aussortieren von Büchern von DDR-Autoren mit nun unerwünschtem Inhalt zum Opfer fiel. Ein Grundgedanke der statistischen Gesetzeskonzeption war die schon von Heisenberg angemahnte Präzisierung des Kausalitätsbegriffs. Allgemein ist Kausalität als Verbindung von Ursache und Wirkung zu fassen, wobei ein Ereignis andere Ereignisse hervorruft oder Einwirkungen auf ein System zu Veränderungen im System führen. Das hebt schon die Einschränkung der aristotelischen Ursachen auf die notwendige Verwirklichung einer Möglichkeit im mechanistischen Determinismus auf. Es kommt zur Unterscheidung zwischen Kausalgesetz und Kausalbeziehungen. Das Kausalgesetz enthält keine Aussagen über die Art der Kausalbeziehungen, sondern stellt nur fest, dass Wirkungen verursacht sind. Eine bestimmte Kausalbeziehung ist so Einwirkung auf ein System als Ursache, die durch den vorhandenen Bedingungskomplex zu einem Möglichkeitsfeld führt, aus dem Möglichkeiten realisiert werden. Diese Einwirkung als Anfangsursache führt zu einem Ergebnis komplexer Kausalprozesse als Endwirkung. In Grenzfällen kann die Anfangsursache notwendig die Endwirkung hervorrufen, wenn eine direkte Beziehung zwischen Anfangsursache und Endwirkung existiert, etwa beim Brechen eines Schusses nach dem Ziehen des Abzugs. Das gilt jedoch nur, wenn das System einwandfrei funktioniert. So sind selbst für den direkten Zusammenhang zwischen Anfangsursache und Endwirkung wiederum eine Vielzahl von Kausalbeziehungen im Mechanismus der Schußwaffe erforderlich. Es sind verschiedene Formen der Notwendigkeit zu unterscheiden. Man kann Notwendigkeit als einen Prozess fassen, in dem eine Endwirkung durch die Gesamtheit der Bedingungen bestimmt ist, was sich nur als post festum feststellbar erweist. Die Frage ist oft: Hätte es anders sein können? Wer einem Fatalismus anhängt, ein ewiges Schicksal anerkennt, wird die Frage verneinen und braucht dann nicht weiter nachzudenken. Er ist Spielball des Geschehens und eigentlich nicht verantwortlich für seine Handlungen zu machen. Die Umgebung lässt sich jedoch nicht abhalten, für falsches Handeln Vorwürfe zu erheben. Die freie Entscheidung ist immer an einen Bedingungskomplex gebunden, der eine Vielzahl von Kausalbeziehungen umfasst, die sich als notwendig oder zufällig erst durch ihren Platz im komplexen Geschehen erweisen. Zufällig ist das, was möglich ist, aber sich nicht unbedingt durchsetzt und das, was als individueller Spielraum im notwendigen Geschehen einer Gesamtheit existiert. Deshalb ist bei nicht realisierten Möglichkeiten und bei der Durchsetzung der Notwendigkeit in zufälligen Ereignissen die Frage zu stellen, in welcher Beziehung ein Ereignis notwendig oder zufällig sei, unabhängig davon, dass es auf der Grundlage von Kausalbeziehungen überhaupt erst möglich ist. Allgemeine Notwendigkeit, d.h. Reproduzierbarkeit, ist Gesetzmäßigkeit: Unter gleichen wesentlichen Bedingungen tritt das gleiche Ereignis ein. Fallende Dachziegel töten oder verletzen z. B. den getroffenen Menschen. Doch Gesetze als allgemein-notwendige, d. h. reproduzierbare Beziehungen, die der Erkenntnis als Grundlage sachkundiger Entscheidungen dienen, sind keine unausweichlichen Vorgänge. Sie bieten Spielräume. Eben das wird in der statistischen Gesetzeskonzeption erfasst. Ein statistisches Gesetz (Gesetzessystem) als ein allgemein-notwendiger und wesentlicher Zusammenhang umfasst eine Systemmöglichkeit, die sich unter Systembedingungen notwendig verwirklicht (dynamischer Aspekt), zugleich für das Verhalten der Elemente ein Möglichkeitsfeld mit stochastischer Vertelung konstituiert (stochastischer Aspekt), aus dem sich probabilistisch Möglichkeiten mit einer bestimmten Übergangswahrscheinlichkeit realisieren (probabilistischer Aspekt). Die Struktur der Kausalität ergibt sich dabei als inhaltlich und zeitlich gerichtete Vermittlung des Zusammenhangs, die Grundlage für Erkenntnis und Gestaltung ist, denn ohne reale Zusammenhänge der Objekte und Prozesse wären Einsichten und Zielsetzungen unmöglich. Notwendigkeit und Zufall bestimmter Kausalrelationen ist durch den gesamten Komplex von Kausalbeziehungen bestimmt, denn eine isolierte Beziehung existiert nicht, sondern wird in der Erkenntnis nur theoretisch herausgehoben. Kausalität ist immer in Wechselwirkung eingebettet und nicht an - sich existent. Es gibt immer einen Komplex von Zusammenhängen, was gleich ist mit der Komplexität der existierenden Kausalbeziehungen eines Systems. Das führt zu weiteren Formen des Zusammenhangs. Kausalität drückt nur den objektiven Zusammenhang der Ereignisse aus. Man könnte das Gedankenexperiment machen, sich einen Bereich vorzustellen, der nicht mit anderen zusammenhinge. Leugnet man so Kausalität. gerät man in den Bereich der nicht fundierbaren Spekulation, denn was nicht wirkt, existiert nicht. Wir laufen jedoch der Kausalität immer nach, ohne sie je zu erreichen. Wir suchen Kausalität und finden Gesetze sowie wesentliche Kausalbeziehungen. Jeder Komplex von Kausalbeziehungen gibt als System die Möglichkeit von verschiedenen Formen des Zusammenhangs: Dazu gehören die Verursachung von Wirkungen (wesentliche Kausalbeziehungen als causa efficiens), die Formierung des Inhalts (causa formalis), die Verwirklichung von Möglichkeiten (causa finalis mit relativen Zielen aus genetischen Programmen und Entwicklungszyklen), Information und Selbstorganisation auf der Grundlage bestimmter Stoffeigenschaften (causa materialis). Diese Zuordnungen sind auch anders möglich. Sie zeigen, dass statt der versuchten speziellen Differenzierung der Kausalität es theoretisch effektiver ist, die Bedingungsvielfalt nicht in den begrifflichen Rahmen der Kausalität allein zu zwingen, sondern die verschiedenen Formen des Zusammenhangs und die statistische Struktur der Gesetzmäßigkeiten zu untersuchen, um sowohl der wirklichen Nicht-Linearität realen Geschehens, als auch der Wahrscheinlichkeitstruktur bei der Verwirklichung von Möglichkeiten aus Möglichkeitsfeldern gerecht zu werden.

Die Schrödingergleichung als statistisches Gesetz

In seinem Überblick über die Diskussionen zum dialektischen Determinismus macht Klaus Fuchs-Kittowski, der Neffe von Klaus Fuchs, auf das Ringen um theoretisch-philosophische Lösungen der nicht nur mit der Quantenphysik aufgeworfenen Determinismusprobleme aufmerksam. Mir scheint, seine Forderung nach Typisierung der Gesetze (Fuchs-Kittowski 2003, 116) ist im Rahmen der statistischen Gesetzeskonzeption erfüllbar, denn diese ist eine komplexe, oder um mit A. Schlemm zu sprechen, eine integrative Darstellung, die Gesetze und Gesetzessysteme umfasst. So sind manche dynamischen Gesetze, wie etwa das Fallgesetz, auch als potentiell statistisches Gesetze zu verstehen. Die Schrödingergleichung erweist sich als ein quantitativ bestimmtes statistisches Gesetz, während manche Gesetzesformulierung in den Sozialwissenschaften nur qualitativ angebbare Skalierungen der Möglichkeitsfelder, wie sehr, gleich oder wenig wahrscheinlich, zulassen. Insofern denke ich, dass der Hinweis von Klaus Fuchs-Kittowski den Charakter der statistischen Gesetze als Gesetzesssysteme betrifft, aus denen einzelne Gesetze herausgehoben werden können, deren Einordnung in das System dann oft große theoretische Probleme bereitet. Mit den Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelationen war eine Voraussagbarkeit von Ereignissen, wie sie in der mechanistischen Kausalitätsauffassung angenommen wurde, nicht mehr möglich, weil die Zustandsbestimmungen Ort und Impuls eines Teilchen nicht mehr gleichzeitig exakt messbar sind. Die Schrödingergleichung gibt jedoch für das Verhalten von Teilchen beim Durchgang durch einen Doppelspalt eine Verlaufskurve, nach der auftreffende Teilchen mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit einen bestimmten Ort erreichen können, obwohl die Bahn eines Teilchens nicht verfolgt werden kann. Im Zusammenhang mit der statistischen Gesetzeskonzeption zeigt sich, dass die Verteilung der Teilchen auf dem Schirm dann notwendig auftritt, wenn genügend Teilchen durch den Spalt geflogen sind. Es handelt sich also um die notwendige Verwirklichung der Systemmöglichkeit unter bestimmten Systembedingungen. Für das Verhalten der Teilchen ist daraus jedoch keine eindeutige Voraussage möglich. Sie bewegen sich im Rahmen der Systemmöglichkeit und haben, je nach der Verteilungskurve, Wahrscheinlichkeiten für das Auftreffen auf einem bestimmten Ort. Man kann also von der stochastischen Verteilung der Möglichkeiten des Auftreffens in einem Möglichkeitsfeld sprechen, die für den Einzelfall eine probabilistische Verhaltensweise durch eine Übergangswahrscheinlichkeit enthält. Deshalb sind die Heisenbergschen Relationen und ihre philosophische Interpretation als Einheit von Gegensätzen, wie sie in Bohrs Auffassung von der Komplementarität angedeutet wurde, kein Ausdruck von Agnostizimus, sondern ein Hinweis auf das notwendige tiefere Eindringen in die objektive Dialektik des Geschehens. Das statistische Gesetz hat mit der durch Systembedingungen erwirkten notwendigen Verwirklichung der Systemmöglichkeit erstens einen dynamischen Aspekt, der der dynamischen Kausalität gleicht, wenn man meint z.B. mit dem Fallgesetz Ursache und Wirkung frei fallender Körper bestimmt zu haben. Unter den Systembedingungen des möglichen freien Falls wird eine Möglichkeit, wie sie der Zusammenhang von Fallweg, Fallzeit und Erdbeschleunigung ergibt, notwendig, d. h. gesetzmäßig, verwirklicht. Zweitens umfasst der stochastische Aspekt des Gesetzes Möglichkeitsfelder für das Verhalten der Elemente, wobei bestimmte Möglichkeiten durch Realisierungswahrscheinlichkeiten ausgezeichnet sind, die die stochastische Verteilung ergeben. Für den Einzelfall existieren Übergangswahrscheinlichkeiten von einem Zustand in den anderen, was drittens als probabilistischer Aspekt des Gesetzes bezeichnet werden kann. Manche Formulierung von Gesetzen erfassen nur einen der Aspekte. So interessiert beim Fallgesetz nur der dynamische Aspekt. Die vorhandenen stochastischen und probabilistischen Aspekte, die Schwankungen um den freien Fall im Vakuum durch reale Bedingungen umfassen, werden vernachlässigt. Das Fallgesetz kann so als potentielles statistisches Gesetz gesehen werden, während die Schrödingergleichung ein quantitativ bestimmtes statistisches Gesetz wäre, da die stochastischen Verteilungen sich mathematisch ableiten lassen. Man könnte nun für verschiedene erkannte Regularitäten oder formulierte Gesetze, deren dynamischer Aspekt bekannt ist, weil die notwendige Verwirklichung einer Möglichkeit für das System erkannt ist, Möglichkeitsfelder für das Verhalten der Elemente entdecken und dafür qualitative Bestimmungen wie mehr, gleich oder weniger wahrscheinliche Realisierungen angeben. Das wäre ein qualitativ bestimmtes statistisches Gesetz. Wir können festhalten: Kausalität ist die Grundlage aller objektiven Regularitäten und Gesetze (Gesetzessysteme), da Zusammenhänge existieren müssen, die jedoch nicht im einzelnen als isolierbare Kausalbeziehungen auffindbar sind. So sind Aussagen über Gesamtheiten von Elementen nicht davon abhängig, dass wir das Elementverhalten genau kennen. Suchen wir es zu erforschen, so stoßen wir wieder auf Gesetze statistischen Charakters. Wir können etwa erst Regularitäten in Gruppen von Individuen untersuchen und dann das Verhalten eines Indviduums zum Gegenstand machen, ohne je dessen unerschöpfliche Kausalbeziehungen voll erfassen zu können oder zu müssen. Wer hier von Agnostizimus sprechen würde, verkennt die Dialektik der Erkenntnis. Nach dem Motto: Wer alles sieht, sieht gar nichts, differenzieren erkennende Menschen zwischen wesentlichen und unwesentlichen Beziehungen, unter suchen den Übergang vom Unwesentlichem zum Wesentlichen und heben so bestimmte Formen des Zusammenhangs in der Erkenntnis hervor. So geben uns Beziehungen in den sich selbst organisierenden Systemen, die wir erkennen, Hinweise auf das Systemverhalten, ohne die Umschlagpunkte des Systems, die Bifurkationen, im einzelnen zu kennen.

Kausalität im Strafrecht

Für das Verhalten von Individuen, soweit sie als solche erkennbar sind, besteht die Möglichkeit, wesentliche Kausalbeziehungen zu entdecken. In Diskussionen zwischen Philosophen und Rechtswissenschaftlern der DDR um die strafrechtliche Verantwortlichkeit spielte das eine Rolle. (Hörz 1971, 139ff.) Einer meiner Kollegen Strafrechtler kam in den sechziger Jahren zu mir und meinte, wir müssten uns mit Determinanten des Geschehens genauer befassen, da die Gefahr bestünde, durch falsche Auslegung der Kausalität, die als Grundlage der Schuld geprüft werden müsse, jeden zum potentiellen Töter zu stempeln, wenn er in irgendeiner Weise in eine strafrechtlich relevante Sache verwickelt wäre. Ein Beispiel dazu: Ein Verantwortlicher für den Arbeitsschutz wurde wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Ein Kranfahrer hatte durch ein nicht verkleidetes Fenster gegriffen, um verklemmte Kabel zu befreien und sich dabei tödlich verletzt. Wir diskutierten darauf Fälle verschiedenster Art nach der statistischen Gesetzeskonzeption in ihrer Anwendung auf wesentliche Ereignisse, die durch ein System von Gesetzen bestimmt sind. Anfangsursachen, wie das nicht verkleidete Fenster, ergeben danach verschiedene Verhaltensmöglichkeiten, von denen jede eine bestimmte Wahrscheinlichkeit der Realisierung besitzt. Eine Möglichkeit wird dann unter bestimmten Bedingungen verwirklicht. Die Endwirkung ist also keine direkte Folge der Anfangsursache, sondern durch Bedingungskomplexe und Möglichkeitsfelder vermittelt. In dem genannten Fall war die Bedingung des nicht verkleideten Fensters nicht die direkte Ursache für den Tod. Es lag also beim Arbeitsschutz zwar eine Pflichtverletzung vor, die zur fahrlässigen Tötung erst dann führte, als der Getötete, selbständig entscheidend, sich über Warnungen hinwegsetzte. In einigen Fällen konnten wir mit unseren Analysen Nachdenken über die Kausalität erreichen. Es gab jedoch auch Richter, die meinten, eindeutige Ursachen würden eindeutige Wirkungen ergeben und die deshalb ohne theoretische Skrupel und Gewissensbisse nach einer einseitigen Kausalauffassung verurteilten. Das Fallbeispiel der Schrödingergleichung zeigt mögliche heuristische Hinweise für weitere Forschungen durch Kritik der methodologischen Grundlagen einer bestimmten Auffassung von Kausalität. Die Suche nach wesentlichen Kausalbeziehungen in Rechtsfällen bestätigt, dass unterschiedlich verurteilt werden kann, wenn verschiedene Kausalauffassungen eine Rolle spielen, wobei Fehlurteile auf Grund mechanistischer Kausalität möglich sind. Da es immer wieder Kollegen gibt, die meinen, die Diskussion um Kausalität sei längst erledigt, sollten sie sich, statt allein der abstrakten Diskussion verpflichtet zu sein, mit solchen philosophischen Problemen befassen.

Fazit

Klaus Fuchs hat mit Überlegungen zum Verhältnis Quantenphysik und Lebensgestaltung einen wichtigen Aspekt philosophischer Analyse naturwissenschaftlicher Erkenntnisse angesprochen, indem er auf die verschiedenen Weltbilder verwies, die zwar aus unseren Erkenntnissen abgeleitet sind, doch oft den Charakter von Bekenntnissen zu einer bestimmten Welterklärung tragen. Diese ist dann handlungsorientierend und oft sogar handlungsleitend für die Lebensgestaltung. Das war auch für Klaus Fuchs so, der entsprechend seiner Überzeugung handelte. Aus der Wissenschaft allein sind keine ethischen Prinzipien abzuleiten, doch sie werden stets mit Erfahrungen, Einsichten und wissenschaftlichen Erkenntnissen verbunden. Das Handeln selbst hat nicht nur eine Erkenntnisdeterminante. Soziale Umstände, Vorbilder, Charaktere und das Gewissen als Ausdruck des persönlichen Verantwortungsbewusstseins spielen eine Rolle. Doch sollten wir die Rolle wissenschaftlicher Analysen des Geschehens nicht unterschätzen. Wissenschaft kann zu einer moralischen Instanz werden, wenn sie auf Grund von erkannten Gesetzen und Regularitäten Hinweise auf humanes Handeln zur Gestaltung unseres Lebens nach Humankriterien geben kann. Mit der Kritik am mechanischen Materialismus und Determinismus hat sich Fuchs an der intensiven Debatte über die Beziehungen von Kausalität, Gesetz und Zufall beteiligt und Anregungen zur weiteren Interpretation der Quantenphysik gegeben. Als Ergebnis unserer Darlegungen können wir dazu festhalten:

  1. Das Kausalgesetz, nach dem alle Wirkungen verursacht sind, ist prinzipielle Voraussetzung jeder Erkenntnis und des darauf basierenden Handelns, doch ändern sich die Auffassungen zu den Kausalbeziehungen im Laufe der Geschichte, in Abhängigkeit von neuen Erkenntnissen und Erfahrungen, erheblich. Kausalität ist, befreit von mechanistischer Beschränktheit, als direkte und konkrete inhaltlich und zeitlich gerichtete Vermittlung des Zusammenhangs zu verstehen. Es finden Veränderungen (Wirkungen) in Systemen statt, die durch innere und äußere Einwirkungen (Ursachen) auf Systeme ausgelöst werden.
  2. Erkannt werden wesentliche Kausalbeziehungen, Regularitäten, Gesetze und Systeme von Gesetzen als Gesetzmäßigkeiten. Wir suchen nach der Kausalität und finden Regeln oder Gesetze für die Lebensgestaltung, sind jedoch immer erneut herausgefordert, für Ausnahmen Ursachen zu finden. Dabei sind Kausalität und Gesetzmäßigkeit hierarchisch aufgebaut. Zufälle im Mikrokosmos führen zu Regularitäten im Meso- und Makrokosmos. Theorien niedrigerer Entwicklungsniveaus sind Rahmentheorien für das Verhalten der Elemente eines Systems im höheren Entwicklungsniveau, ohne das Verhalten eindeutig zu bestimmen. Jedes System hat seine eigenen Systemgesetze, die statistischen Charakter haben.
  3. Selbstorgansation dient der Erhaltung, Veränderung und Auflösung von Systemen. Sie charakterisiert den Mechanismus des Geschehens. Die Forschungen zeigen, dass es keine eindeutige Zuordnung von bestimmten Ursachen zu bestimmten Wirkungen gibt. Mit Bifurkationen macht sie auf die Vielfalt von Ursache-Wirkungs-Relationen in einem Ereignis und einem Prozess aufmerksam. In der Wirklichkeit existieren nur Nicht-Linearitäten, deren Grenzfall Linearitäten sind, nach denen wir zur Vereinfachung unserer Erkenntnis suchen. Man muss sich deshalb stets dieser Vereinfachungen bewusst sein. Insofern gehören zu einer nicht-linearen Denkweise auch linear formulierte Erkenntnisse, während eine lineare Denkweise philosophisch reduktionistisch Systeme auf Elemente, Besonderes auf Allgemeines, Kausalität auf mechanistische Kausalität reduziert und damit Problemreduktionen und Denkhemmnisse aufbaut.
  4. Agnostizismus liegt erst dann vor, wenn die prinzipielle Unerkennbarkeit erkennbarer Objekte und Zusammenhänge behauptet wird. Die zeitlichen und räumlichen Grenzen der Erkennbarkeit werden von uns immer weiter hinausgeschoben, indem wir unseren Horizont für die Erkenntnis mit neuen Denk- und Werkzeugen erweitern. Der Versuch, die dialektische Widersprüchlichkeit des Geschehens in der Erkenntnis auf die Einsicht in getrennte Momente der Einheit von Gegensätzen zu reduzieren und dann, wenn die Nichterkennbarkeit konstatiert wird, da ihr Zusammenhang aufzudecken ist, auf der reduzierten Erkenntnis zu bestehen und die dialektische Sicht der Zusammenhänge, beginnend oft mit Hinweisen auf den Dualismus, als Agnostizismus zu bezeichnen, ist theoretisch probelmatisch und philosophisch zurückzuweisen.
  5. Menschen gestalten auf der Grundlage ihrer Einsichten in das Geschehen mit Versuch und Irrtum ihr Leben nach vorgegebenen Zielstellungen auf der Grundlage von Weltbildern und Werten. Philosophie als Weltanschauungstheorie analysiert soziale Erfahrungen, begründete Einsichten, soziale Programme und persönliche Bekenntnisse kritisch, um Lebenshilfe geben zu können. Freiheit ist sachkundige Entscheidung in Verantwortung. Sie ist wegen der durch die Existenz des objektiven Zufalls bedingten Möglichkeitsfelder des Geschehens und der dadurch entstehenden Entscheidungs- und Handlungsspielräume möglich und theoretisch begründbar. Die Art und Weise, wie die Spielräume durch Individuen genutzt werden, hängt von ihrer Entwicklung und der sozialen Umgebung ab. Freiheit ist so kein passives Gut jedes Menschen, sondern eine Möglichkeit zur Lebensgestaltung, die im humanen Sinne effektive und menschenwürdige Lebensbedingungen anstreben kann, was stets auf Gegenkräfte stößt.

Literatur:

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Hörz, Herbert (1966), Werner Heisenberg und die Philosophie, Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften
Hörz, Herbert (1980), Zufall. Eine philosophische Untersuchung, Berlin: Akademie-Verlag
Hörz, Herbert (1993), Selbstorganisation sozialer Systeme. Ein Verhaltensmodell zum Freiheitsgewinn, Münster: LIT-Verlag
Hörz, Herbert (2002), Heisenberg - Determinismus und die Folgen. In: G. Klose, K. Reiprich (Hrsg.): Werner Heisenberg. Vorträge zum 100. Geburtstag. Rohrbacher Kreis, Sonderh. Leipzig: Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, 2002, S. 21-48.
Hörz, Herbert, Röseberg, Ulrich (1981), Materialistische Dialektik in der physikalischen und biologischen Erkenntnis, Berlin: Akademie-Verlag
Hollitscher, Walter (1991), Vorlesungen zur Dialektik der Natur, Erstveröffentlichung der 1949/50 an der Humboldt-Universität gehaltenen Vorlesungsreihe, Marburg: Verlag Arbeit & Gesellschaft GmbH.
Schlemm, Annette (2003), An Integrated Notion of "Law", in: Vladimir Arshinov, Christian Fuchs (eds.), Causality, Emergence, Self-Organisation, Moscow: NIA-Priroda





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