Umfassende Bereiche:

Attraktoren und Chaos

Immer wieder werden fast inflationär moderne populär gewordene Schlagworte verwendet. Oft entstehen dadurch kurzschlüssige Welt-Bilder, die mit den Voraussetzungen der verwendeten Begriffe nicht mehr viel gemeinsam haben. Deshalb an dieser Stelle einige kurze Erklärungen:

Attraktoren:
Attraktoren sind Gebilde im Phasenraum.

Der Phasenraum hat keine Ortskoordinaten, sondern beschreibt andere Zustandsfunktionen (eine Ordinate ist dann z.B. der Ort, die andere die Geschwindigkeit oder der Impuls). Die Bahn der Zustände (die durch Ort und Impuls gekennzeichnet sind), ist die Trajektorie.

Trajektorien streben oft zu für sie typischen Gebieten. Diese "Anziehungsgebiete" sind die Attraktoren.

Solche Gebiete können ein Punkt sein, oder ein Kreis (Grenzzyklus), oder Tori - sowie die sog. "seltsamen" Attraktoren:

Typ:
 
Beispiel:
Anziehungspunkt
  • Pendel mit Reibung
  • ruhiges Wasser
Grenzzyklus

Widerstehen der Veränderung durch Rückkopplung

  • Pendel ohne Reibung
  • Raubtier-Beute-System
  • Wirbel im schnelleren W.

Torus

gekoppelte Bewegung von zwei Oszillatoren

- bei irrat. Verhältnis der Einzelfrequenzen: quasiperiodisch

(Planetensystem)

Achtung: bei rat. Verhältnis: Störung pos. rückgekoppelt! - Resonanz: Lücken im Planetoidengürtel u. Saturnringen

  • Insekten-Frosch-Zyklus gekoppelt mit Forellen-Hecht-Zyklus

  • Planetenbewegung

selbstähnliche Kaskaden von Lücken!

seltsamer Attraktor - CHAOS

- kleine Startabweichungen große Unterschiede

(nichtperiodische Attraktoren = Fraktale mit gebrochener Dimensionalität)

  • Turbulenz (Wasser)
  • Wetter (Lorenz 1960)

Der Weg ins Chaos:

Die Zustände in physikalischen Systemen können sich so verändern, daß sich auch die Attraktoren verändern.

physikalisches Beispiel:

Die laminare Strömung von Wasser bei kleinen Geschwindigkeiten fließt glatt dahin und gleicht Störungen schnell aus. Der Attraktor ist der Punkt der konstanten Wassergeschwindigkeit-

Beim rascheren Fließen treten durch Wirbel stabile Wirbel auf. Durch die die sog. Hopf-Instabilität (E.Hopf 1948) geschieht ein Umschlagen zu Grenzzyklen und bei weiterem Geschwindigkeitsanstieg wird der Attraktor ein Torus.

Es wäre nun zu erwarten, daß bei weiterer Geschwindigkeitserhöhung Tori weiterer Dimensionen erreicht werden. In der Realität jedoch passiert etwas anderes:

Ruelle und Takens erkannten 1972, daß bei einer weiteren Geschwindigkeitssteigerung der Torus plötzlich "zerspringt". Es entsteht ein "seltsamer" Attraktor, bei dem durch die Rückkopplung zwischen den einzelnen "Stücken" immer neue Stücke entstehen. Es entsteht eine turbulente Strömung, die ein Abbild für das sog. "Turbulente Chaos" (Schlemm) ist.

In der Biologie kennen wir ein analoges Verhalten in der Populationsdynamik in Abhängigkeit vom Nahrungsangebot. Auch hier gibt es bei wachsendem Nahrungsangebot periodische Prozesse (periodisch wechselnde Populationsdichten der betrachteten Tierarten), bis hin zu turbulent chaotisch wechselnden Populationsdichten bei sehr hohem Nahrungsangebot.

Die Vermehrung würde bei unbegrenzter Umgebung zu einer exponentiellen Vervielfachung werden. Wenn die Populationsgröße in einem gegebenen Jahr Xn

ist, so ist sie bei der nächsten Zählung (n+1) : Xn+1=rXn.

In einem abgeschlossenen Gebiet gedoch muß der Faktor (1-Xn) hinzugerechnet werden (Verhulst 1845) (die 1 entsteht durch die Normierung, wobei X=1 als maximale Population angenommen wird.). r ist die Geburtenrate (die u.a. vom Nahrungsangebot abhängt).

Die endgültige Gleichung ist dann: Xn+1=rXn (1-Xn)

Sie entspricht einer Iteration/Rückkopplung (das Ergebnis der vorherigen Zählung/Rechnung wird wieder in die Gleichung eingesetzt) und ist nichtlinear. Mit dem Computer läßt sich das heutzutage relativ leicht nachvollziehen. In Abhängigkeit von r sieht die Lösungsvielfalt immer anders aus. In den Abbildungen zeige ich links die Abhängigkeit von r (Geburtenrate/Nahrungsangebot), das Bild rechts "übersetzt" das in eine Zeitentwicklung.

ab 2=3,8 schwankt die population periodisch zwischen hohen und niedrigen Anzahlen -
Ein anderes Beispiel für eine solche Bifurkation ist die fluktuationsabhängige Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten an diesem Punkt.
Für noch höhere Geburtenraten verdoppelt sich die Periode

... usw.

... bis hin zum Chaos (mit selbstähnlicher innerer Ordnung! = Intermittenz)

Die Rolle der Rückkopplung (Ko-Evolution) ist für die für Evolution des Lebens wesentlich!

Das Umspringen auf jeweils andere Attraktoren (Punkt Grenzzyklus Torus turbulentes Chaos) geschieht abrupt und diskontinuierlich. Die Stellen auf der Ordinate, an denen dies geschieht, werden Bifurkationspunkte genannt, weil die Änderung der Attraktoren jeweils mehrere Möglichkeiten neu entstehen läßt. Dies erscheint als Aufspaltung, Aufgabelung.

Literatur:

Briggs, J., Peat, F.D.: Die Entdeckung des Chaos. Eine Reise durch die Chaos-Theorie, München, Wien 1990

Annette Schlemm für Diskussion am 10.1.97 und Internet




siehe auch:

oder siehe untenSystemtheorie  AutopoieseSelbstorganisationEntwicklungsprinzipienGesellschaftstheorienAttraktoren und ChaosChaosZukunft zum Selbermachen

[Homepage] [Gliederung]

Stübchen Gliederung



- Diese Seite ist Bestandteil von "Annettes Philosophenstübchen" 1997/98 - http://www.thur.de/philo/asattr.htm -