Umfassende Bereiche:

Zukunftsvisionen

Es gibt unterschiedliche Ansichten, wovon der Fortschritt von Wissenschaft und Technik bestimmt wird.

Während weitgehende Einigkeit besteht, daß die Anwendungen von Wissenschaft und Technik weitestgehend von gesellschaftlichen Interessen und Herrschaftsstrukturen geprägt ist, geht die Meinung bei den Inhalten von Wissenschaft und den konkreten Technikformen auseinander.

Aus der Geschichte von Wissenschaft und Technik kann man nur schwer nachweisen kann, ob oder daß es Alternativen zur herrschenden Wissenschafts- und Technikentwicklung gab. (Zumindest die feministische Wissenschaftstheorie wiest signifikante Alternativen und Brüche bezüglich Begriffsbildungen, Problemdefinitionen u.ä. nach - bei der sich stets die von herrschenden Männeren getragenen Varianten durchsetzten -, die weit in die Fundierung von Wissenschaften reichen.)

An einer Stelle jedoch wird es offensichtlich, daß Wissenschafts- und Technikentwicklung nicht nur von einer immanenten "inneren Logik" bestimmt wird.

Man braucht sich nämlich nur einmal die aktuelle Situation der Forschungslandschaft ansehen. Einerseits zeigt das Trauerspiel der bundesdeutscher Forschungsförderung die sogar aus herrschender Wissenschaftssicht kurzsichtige, teil-interessenbestimmte Determination. Andererseits sind auch die Träume der Wissenschaftler selbst bereits befangen in technokratischen Schwelgereien.

In Japan wurde letztlich eine Umfrage unter Wissenschaftlern ausgewertet, welchen Zukunftstrends sie eine Chance geben.

Die Ergebnisse sind für jemanden, der nach sozialen, humanen Auswegen aus der globalen materiellen und kulturellen Krise sucht, schockierend:

Alle globalen Probleme sind durch mehr Technik lösbar:

  • Flutwellen-Vorhersagesystem,
  • vollautomatische Sortiertechnik für Hausmüll,
  • Wirkungen des Treibhauseffekts auf den Meeresspiegel exakt berechenbar,
  • unempfindliche neue Fischarten durch Genmanipulation,
  • Ozonloch wird von Flugzeugen aus gestopft,
  • radioaktiver Abfall wird mit hochenergetischen Elementarteilchen beseitigt.

Gefährlicher als die derart zu behebenden "Neben"-Wirkungen der Technisierung ist die noch vorhandene wilde Natur. Aber auch das kriegt man technisch in den Griff:

  • globale Überwachung von Wildtieren und -Pflanzen.

Irgendwann steht das Problen Naturschutz eh nicht mehr, weil es keine mehr gibt:

  • gentechnisch entwickelte Pflanzen dominieren,
  • geklonte Rinder setzen sich durch.

Alle persönlichen Probleme sind lösbar mittels:

  • Musiktherapie.

Außerdem ist

  • Schizophrenie heilbar.

Und genauso wie der Fisch das Fahrrad braucht, braucht die Menschheit (oder die Militärs?!):

  • integrierte Schaltungen, die bei Temperaturen von mehreren hundert Grad Celsius einsetzbar sind,
  • technische Kunststoffe halten 450 °C aus,
  • kompakte Kernkraftwerke arbeiten in der Industrie (??? hä, verstehe ich nicht?! ich bin zu blöd für diese Zukunft)

Falls das jemandem nicht paßt, ist er gut "im Griff" zu behalten:

  • Sicherheitskontrollen ohne Personenberührung,
  • Breitband-ISDN, globales ISDN-Netz.

Solange es die Menschen als Naturprodukte noch geben muß, ist zumindest der Ersatz von sozialen Kontakten durch Technik geklärt:

  • Babypflegeroboter,
  • Roboter übernehmen Altenpflege.

Irgendwann braucht man dann eigentlich keine nichtkünstlichen Menschen mehr:

  • Züchtung von menschlichen Organen,
  • künstliches Blut,
  • Computer kreieren selbstständig Texte,
  • Verbindung zwischen Lebenwesen und Computer,
  • menschenähnliche Roboter mit Händen und Füßen,
  • künstliche Intelligenz, die Gehirnvorgänge simuliert.

Wenn auch als Beruhigungspille für ängstliche Gemüter immer mal ein Punkt mit eingeschoben wird, der den Menschen zugute kommen soll:

  • Alterungsprozesse werden gestoppt,
  • Allergien heilbar,
  • Aids und Krebs heilbar...

wird sich schon auch dann die "Logik der Technik" durchsetzen, die den Menschen als zu schnell verschleißend, ineffektiv und ersetzbar aussondert.

Diese Hirngespinste werden nun nicht etwa als Science Fiction in den hintersten Bücherregalreihen versteckt - sondern in der Unternehmerzeitung "WirtschaftsWoche" genüßlich aufgeführt, um zu fordern, daß endlich mehr unternommen wird, daß Deutschland nicht noch mehr zum wissenschaftlichen Entwicklungsland verkommt. Man könnte ja total den Anschluß verlieren in diese "schöne, neue Zukunft".

Wer von den normalen Menschen, die nicht gerade dabei sind, sich ihr Gehirn bei der Beantragung von Forschungsmitteln zu verrenken, kann darin noch einen Fortschritt der Wissenschaft sehen ???

Wahrscheinlich kann man Ehrenrettung der WissenschaftlerInnen, die ihren Geist fürs tägliche Brot verkaufen (müssen) sagen, daß auch sie sich manchmal, in schlaflosen Nächten, vorstellen können, andere Ideen mit ihrem geistigen Können zu verfolgen und andere Probleme zu lösen.

Gerade die "Anpassung" der technischen Produktivkräfte an die selbstorganisierenden Systeme Menschheit und Natur wäre eine gewaltige Herausforderung an jeden intelligenten Menschen. Wie könnte eine produktive, aber ökologisch vertretbare Technik zur Erzeugung der notwendigen Lebensmittel und Gebrauchswserte aussehen?

Für die Energieversorgung gibt es Ansätze , die in dezentralisierte Formen Alternativen zu zentralen Atomkraftwerken und anderen technokratischen Großprojekten entwickeln.

Projekte für Verkehrsmittelalternativen schmoren längst in den Tresoren der Automobilbauer, ganz abgesehen von Alternativen zur jetzigen Infrastruktur. An dieser Stelle ist die Konsequenz, daß dann auch die Produktionsprozesse anders organisiert werden müßten, unübersehbar (Fertigung von Massengebrauchsmitteln in Nähe des Verbrauchs... ).

Der "reale" Sozialismus stellte sich diese Aufgabe einer alternativen Technikentwicklung nicht mal, sondern kupferte alles beim effektiveren Kapitalismus ab (obwohl Ulbricht 1970 mal davon sprach, "ganz andere Wirkprinzipien als der Kapitalismus" zu nutzen).

Die jetzt nach alternativen Lebens-arbeitsplätzen suchenden Kommunarden stellen sich dieser Aufgabe nicht, weil die Arbeit für sie gegenüber der Spiritualität nicht so wichtig ist und ruhig schön gemächlich "wie ein Gebet" - ohne die verderbliche Technik - verrichtet werden soll.

Die Weiterführung des jetzigen Umgangs mit Wissenschaft und Technik führt uns wahrscheinlich in den ökologischen Kollaps - oder bestenfalls (falls man daran überhaupt was Gutes sehen kann) in die technokratische "schöne, neue Welt", die Japans Wissenschaftler erahnen.

Das einfache "Aufheben" der Wissenschaft und Technik im Sinne von Wegwerfen beschert uns einen Rückfall in die Zwänge der Überlebensarbeit und des magischen Denkens.

Die Relikte dieser jetzigen Produktions- und Lebensweise könnte in Museeumsform als Warnung durchaus "aufgehoben" werden, wenn es und gelingt, das "Hinaufheben" in eine neue, höhere Form des Umgangs mit Wissenschaft und Technik zu vollziehen. Nur dann können wir als Menschen überleben.

In der Mannigfaltigkeit der materiellen Grundlagen und der geistig-kulturellen Eigenart des Menschen liegen diese Alternativen offen. Die Zukunft ist offen. Aber nur, wenn wir sie nicht weiter mit Beton zubauen lassen.



Annette Schlemm, 18.2.93 - HTML 2.8.96

 

 

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