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Das Naturverständnis
in der klassischen deutschen Philosophie

Ich werde im folgenden keine vollständigen Beschreibungen der Denksysteme der jeweiligen Denker angeben. Ebenfalls sind nicht alle "wenn" und "aber" argumentativ aufgeführt. Ich möchte nur einige Anhaltspunkte für eine mögliche Rehabilitation der deutschen Klassiker gegen Vorwürfe wegen "Naturvergessenheit" - insb. gegen Fichte und Hegel - andeuten und die Ökologiefreundlichkeit Schellings einordnen.

1. "Wissen ist Macht"

Die ersten Schritte der Menschheit aus dem Tierreich waren mit seinen ersten durchdachten Tätigkeiten bei der Herstellung seiner Mahlzeit und Gebrauchsgegenstände verbunden. Daß ein Stock als Verlängerung des Fingers oder als Hebel einsetzbar ist, merken schon Affen. Aber sich einen Stein herzunehmen, ihn so zurechtzuschlagen, daß seine scharfen Kanten als Schaber und Schneide zu verwenden sind - das fiel erst den Menschen ein. Sie können ein inneres, abstraktes Modell in ihrem Gehirn erzeugen, so daß Erfahrung, Modell und Vorstellung zusammenfließen in eine geplante und bewußte Handlung. Natürliche Gegebenheiten werden von ihnen so verändert, daß sie ihren Bedürfnissen und Interessen gemäß genutzt werden können. Das Wissen um die Möglichkeiten der Naturnutzung wird zur Macht der Menschen gegenüber der nichtmenschlichen Natur und von einigen Menschen gegenüber anderen Menschen. Wissen wird Macht.

Systematisch wird diese Macht seit der Entwicklung von Natur-Wissenschaften genutzt. Diese Wissenschaften hatten dabei einen solchen Erfolg, daß sie zeitweise Muster und Modell für alle erfolgreichen Handlungspläne - auch auf philosophischem und gesellschaftspolitischem Bereich - wurden. Noch heute wird dies nicht nur als Metapher, sondern als ernsthafte Überzeugung vertreten.

Ich bin selbst aus Begeisterung und gern Naturwissenschaftlerin geworden. Da ich aber vorher ein paar Jahre im Kuhstall gearbeitet hatte, habe ich immer das Gefühl behalten, daß mit der Milch morgens im Milchhaus mehr Kindern geholfen wurde als mit vielen komischen Formeln zur Berechnung des Universums ein paar Jahre später. Die alltägliche Arbeit der "einfachen" Menschen an ihren mitunter monotonen Arbeitsplätzen ist für den Fortbestand der Menschheit viel wichtiger als manch säuselnder Wissenschaftsvortrag.

Heute weiß ich, daß die Hälfte der Wissenschaft direkt im Rüstungsbereich gegen die Menschlichkeit eingesetzt wird und in der anderen Hälfte auch nur das gemacht wird, was Profite bringt und der Nutzen für die Menschen oft mehr als zweifelhaft ist (Atomtechnologie, Gentechnologie...).

Heutzutage nimmt diese Überzeugung vom Primat der Wissenschaft oft schon den Charakter einer Expertokratie an. Wissenschaftler nehmen sich das Recht heraus, für andere Menschen Entscheidungen zu treffen, die es nicht besser wüßten... Es wird der Eindruck erweckt, als gebe die Wissenschaft so eindeutige Antworten und zeige so eindeutige Wege auf, daß man ihr folgen müsse. "Die" Wissenschaft wird dabei erstens oft direkt fälschlicherweise in Anspruch genommen (Gegenexperten können aus ihr oft das Gegenteil genauso wissenschaftlich beweisen). Zweitens ist es doch die Frage, ob alle davon berührten Lebensfragen ("Gen-Ethik"...) überhaupt eine "wissenschaftliche" Antwort erfordern, oder ob die Entscheidungen nicht überhaupt ganz woanders von anderen Menschen getroffen werden müßten.

Wissenschaft erkennt wesentliche Zusammenhänge (Gesetzmäßigkeiten). Wesentliche Zusammenhänge sind allgemein-notwendig. Wissenschaft zeigt also das Notwendige auf - und Wissenschaft erfaßt immer mehr Lebensbereiche. Es könnte scheinen, daß immer mehr als notwendig erkannt wird... nur wo bleibt dann die Freiheit?

Nur im glücklichsten Fall ist Wissenschaft in der Lage, die gesamte Totalität von Bedingungen zu erfassen, so daß sich Notwendigkeiten und Kontingenzen (Möglichkeiten) gleichermaßen offenbaren. Wissenschaftskritik und kritische Wissenschaften zielen auf das Aufzeigen der Möglichkeiten und zeigen so wissenschaftsintern eine neue Stufe der Wissenschaftsentwicklung und die besten Teile der bisherigen Wissenschaftsentwicklung auf.

In der Philosophie begann mit Immanuel Kant eine fundierte Kritik der bis dahin vorherrschenden Denkweise über die Wissenschaft.

2. Das "Ding an sich" bei Kant

Kant findet einen Ansatzpunkt, die wissenschaftlich erkannte Notwendigkeit von der Lebenswelt zu trennen. Nicht alles untersteht der Wissenschaft. Die Wissenschaft erkennt nur so, wie es der menschliche Kopf ihr vorschreibt - das "Ding an sich" bleibt unerkannt. ("Die Vernunft sieht nur ein, was sie selbst nach ihrem Entwurfe hervorbringt".) Das erkennende Bewußtsein "macht" sich seine "Gegenstände" und nur die erkennt er dann. Das wirkliche Leben ist aber nicht in "Gegenständen" eingesperrt. In ihm gibt es noch innere Zwecke, die nicht dem erkennbaren Mechanismus unterworfen sind.

Kant hat also zwei getrennte Naturbegriffe. Einerseits erkennt Wissenschaft den Bereich Natur, den sie sich zu "Gegenständen" macht; andererseits bleibt da noch eine Natur, in der wir unsere Existenz fristen und in der wir noch Entscheidungsmöglichkeiten haben.

Kant lockerte also die Fesseln, die sich dadurch ergaben, daß die Wissenschaft immer mehr Bereiche der Natur als durcheinander mit Notwendigkeit bestimmt nachwies.

Er zeigt außerhalb der erkennbaren Natur noch offene Stellen. In der Beschränktheit der Erkenntnis (die nicht dahin reichen sollte), fand er eine Begründung noch möglicher Freiheit.

Diese Rettung vor den Fesseln der allgegenwärtigen Notwendigkeiten war es auch, die viele Menschen begeistert die komplizierten Texte von I.Kant studieren ließ.

3. Natur und Würde bei Fichte

Johann Gottlieb Fichte war 28 Jahre alt, als er die Schriften von Kant zum ersten Male las. Bis dahin kannte er auch nur eine Wissenschaft, die alles als notwendig erkennt. Er als Mensch war dann auch nur "ein Glied in dieser Kette strenger Naturnotwendigkeit". Freiheit konnte dann nur darin bestehen, alles zu tun, was die Natur fordert. "Im unmittelbaren Selbstbewußtsein erscheine ich mir als frei; durch Nachdenken über die ganze Natur finde ich, daß Freiheit schlechterdings unmöglich ist..." So ganz unglücklich scheint Fichte mit dieser Ansicht auch erst einmal gar nicht zu sein. In Bezug auf die Natur beschreibt er dieses Einbezogensein in die Naturnotwendigkeiten: "Das Bewußtsein ist hier nicht mehr jener Fremdling in der Natur, dessen Zusammenhang mit einem Sein so unbegreiflich ist; es ist einheimisch in derselben und selbst eine ihrer notwendigen Bestimmungen."

Fichte denkt aber weiter: Wenn ich nur eine Äußerung der Naturkraft bin, wenn ich unter der unerbittlichen Gewalt der strengen Naturnotwendigkeit stehe, dann "wird (es), nachdem ich dies einsehe, das Beruhigendste sein, auch meine Wünsche ihr zu unterwerfen, da ja mein Sein ihr völlig unterworfen ist."

Nein, das aber will Fichte nicht. Johann Gottlieb Fichte stammt nicht von privilegierten Menschen ab, die nie das Bedürfnis nach einer grundlegenden Veränderung der Lebensverhältnisse haben. Er mußte sich als Hauslehrer durchschlagen und lernte das wirkliche Leben kennen und äußerte schon mit 16 Jahren in den "Zufällige(n) Gedanken in einer schlaflosen Nacht" seine Unzufriedenheit mit den Verhältnissen. Als denkender Mensch nimmt er sich nun, mit 28 Jahren das Recht heraus, sich den Naturnotwendigkeiten auch nicht noch denkerisch zu unterwerfen. Durch Kant hatte er das erste Durchschlagen der Ketten der Notwendigkeit kennengelernt. Er will sich und die anderen Menschen befreien aus den Zwängen der Naturnotwendigkeit: Für Intelligenzen gibt es im Gegensatz zu Pflanzen oder Tieren "mannigfaltige Handlungsmöglichkeiten, unter denen allen,... ich auswählen kann, welche ich will."

Um dies ausführlicher systematisch zu begründen, legt er fest:

"Der Rang, welchem in jenem (alten) Lehrgebäude jede ursprüngliche Naturkraft einnimmt,
will ich selbst einnehmen."

In seiner kleinen Schrift "Die Bestimmung des Menschen" beschreibt er seinen eigenen Sinneswechsel hin zu diesem Prinzip. Er gibt zu, daß zwei Denksysteme: a) das der Naturnotwendigkeiten und b) der Freiheit einander gegenüberstehen, ohne daß eine von beiden Behauptungen hinlänglich begründet sei. (Auch er weiß schon von der Selbstreferentialität der Erkenntnis: Man erkennt nur das, worauf man vorbereitet ist, was man sehen will... ).

Seine Entscheidung ist einfach:

"Das System der Freiheit befriedigt,
das entgegengesetzte tötet und vernichtet mein Herz."

Fichte unternimmt es nun, diese mit dem Herzen getroffene Entscheidung auch mit dem menschlichen Geist zu untermauern. Dazu eignet sich die Erfahrung, daß mit der Wahrnehmung letztlich nur der eigene Zustand wirklich wahrgenommen wird. Alles, was wir von "außen" wissen, wissen wir nur durch eigene, innere Zustände. Das eigene Innere "macht" das Äußere, den "Gegenstand", wie es seit Kant heißt.

Bei Kant standen die beiden Welten: die der erkannten "Gegenstände" und die der nicht erkennbaren "Dinge an sich" noch beinahe unvermittelt gegeneinander. Fichte sucht die systematische Einheit von erkennendem Subjekt und erkanntem Objekt. Er schafft sie, indem er diese einheitliche Subjekt-Objektivität in das ICH selbst verlegt.

Das Süße, das Harte und das Rote gibt es für MICH nur als inneren Zustand. Aus diesem Inneren heraus versetze ICH es durch Anschauung und Denken in den Raum. Alles hängt von MIR ab... Fichte bezieht sich hier wieder auf die Notwendigkeit, von der er sich befreien will: "Du wirst nun nicht länger vor einer Notwendigkeit zittern, die nur in deinem Denken ist, nicht länger fürchten, von Dingen unterdrückt zu werden, die deine eignen Produkte sind...".

Eigentlich erinnert das ein wenig an die Vogel-Strauß-Politik: Ich sehe die böse Welt nicht mehr, also kann sie mich auch nicht bedrohen...

Im strengen Sinn behauptet Fichte, daß das ICH alles außer MIR erzeugt. Das ICH setzt alles Nichtich, zu dem auch die Natur gehört. Ja, Fichte will, daß sich nicht der Mensch der Natur, sonder die Natur dem Menschen beugt. Insofern könnte er recht unökologische Meinungen befördern und das wird ihm auch immer wieder vorgeworfen. Auch Hegel (1801), der selbst wenig Naturkenntnis zeigt, wirft ihm vor, in der Natur nur ein wesentlich Bestimmtes und Totes zu sehen.

Der logische Schritt, daß alles außer MIR von MIR selbst bestimmt ist, wird von Fichte selbst weitergeführt zu der Forderung: "meine Vorstellungen sollen etwas bedeuten". Das geht nur dann, wenn "etwas außer der bloßen Vorstellung Liegendes, das da ist und war und sein wird, wenn auch die Vorstellung nicht wäre..." existiert. Hierher führt aber keine Art von Wissen (weil das ja nur auf Selbst-Wahrnehmung beruht), sondern der Glaube und das glaubende Akzeptieren einer Bestimmung meines Tuns.

"Nicht bloßes Wissen, sondern nach deinem Wissen TUN ist deine Bestimmung."

ICH soll nicht durch etwas außer mir gezwungen werden können. Kein Naturbedürfnis darf mir den Zweck meines Handelns aufzwingen können. Ich soll frei, ohne äußeren Zweck handeln können. Aber: erst setze ICH die Handlung, dann erst entsteht der Zweck (durch MICH und MEINE Entscheidung zu handeln).

In diesem außerhalb der Vorstellung Liegendem sind allerdings ebenso eigene Zwecke zu vermuten. Und jetzt kommt der entscheidente Satz, der den Vorwürfen entgegensteht:

"Hier schränke deine Freiheit, hier vermute und ehre fremde Zwecke."

Dies betrifft einerseits offensichtlich andere Menschen als ebenfalls freie, selbständige, von dir ganz und gar unabhängige Wesen. Andererseits benennt Fichte aber an dieser Stelle auch ganz eindeutig die Natur. "Ich werde sonach genötigt, diese Dinge zu betrachten als stehend unter ihren eignen, von mir unabhängigen, obwohl durch mich zu erkennenden Naturgesetzen; ihnen sonach allerdings ein von mir unabhängiges Dasein zuzuschreiben."

Die Natur selbst darf einerseits nicht unbeherrscht bleiben. Sie "muß allmählich in die Lage eintreten, daß sich auf ihren gleichmäßigen Schritt sicher rechnen und zählen lasse und daß ihre Kraft unverrückt ein bestimmtes Verhältnis mit der Macht halte, die bestimmt ist, sie zu beherrschen - mit der menschlichen." Naturkatastrophen werden wir uns alle nicht wünschen...

Die Natur ist für Fichte auch kein toter Mechanismus. "Dieses ewige Leben und Regen in allen Adern der sinnlichen und geistigen Natur erblickt mein Auge durch das, was andern tote Masse scheint, hindurch..." Dem schließt sich eine längere Passage feinster Naturbeschreibung an, die mit Natur als totem Objekt überhaupt nichts zu tun hat.

Andererseits ist der Eingriff der Menschen nicht beliebig. Der Mensch hat nach Fichte für die Natur eine belebende Wirkung:

"Er legt nicht nur die notwendige Ordnung in die Dinge; er gibt ihnen auch diejenige, die er sich willkürlich wählte; da wo er hintritt, erwacht die Natur, bei seinem Anblick bereitet sie sich zu, von ihm die neue schönre Schöpfung zu erhalten."

4. Die Natur als Ichheit bei Schelling

Auch Schelling beginnt seine Philosophie mit dem Grundsatz, daß das Wesen des Menschen in absoluter Freiheit besteht und sich diesem Prinzip alles unterordnen muß.

Auch das Naturbild muß dem entsprechen. Er arbeitet dies genau aus: Die Natur muß sich nicht der menschlichen Freiheit, dem ICH beugen - sondern in der Natur muß ebenfalls "Ichheit" vorhanden sein.

Nur in einer lebendigen, organischen Welt können wir als ICH auch richtig denken. Die Identität von Subjekt und Objekt faßt Schelling dynamisch: Die ursprüngliche Tätigkeit, durch welche die objektive Welt produziert ist, ist ursprünglich identisch mit der Tätigkeit, welche im Wollen des ICH's (als einheitliches Subjekt-Objekt) sich äußert.

Die Natur darf nicht als Objekt genommen werden , sie ist eine Tätigkeit und Beharrung findet nur statt, wenn sie als Objekt genommen (erkannt) wird. Die Natur selbst ist autark, autonom, sich selbst organisierend. Produkte/Dinge sind nur Schein-Produkte im Schwebezustand zwischen unendlicher Produktivität und ihrer selbsterzeugten Hemmung.

Dadurch entstehen zwei Ebenen: Die Natur als natura naturans ist außer aller Zeit als das Un-Bedingte, Identische, Absolute (schon immer und ewig) vorhanden. Im zeitlichen Prozeß "bejaht" sich dieses Absolute lediglich in den unterschiedlichen Formen der natura naturata, die aber nur Schein-Produkte sind.

Alle Aussagen über die natura naturans von Schelling passen hervorragend in die modernen Selbstorganisationskonzepte. Die Natur als lebendiger Organismus bietet auch einen guten Anhaltspunkt für ökologisches Denken.

"Philosophiren über die Natur heißt, sie aus dem todten Mechanismus, worin sie befangen erscheint, herauszuheben, sie mit Freiheit gleichsam zu beleben und in eigne freie Entwicklung zu versetzen."

Der Physiker dagegen, welcher die Ordnung des Universums und der Natur aus ... bloß passiven Bestimmungen, aus Größe, Figur, Lage der Theile usw. begreifen will, würde die Natur, das unendliche Leben selbst in Tod verwandeln."

Die Philosophie hat also hinter den Produkten und Dingen das Lebendige zu sehen. Diese Forderung ergibt sich aus Schelling´s Ausgangsprinzip, daß Philosophie immer das Un-Bedingte als das Erste zu nehmen habe. Schelling kann dieses Lebendige aber doch nicht allein in der vorhandenen Natur (natura naturata) erkennen, sondern er setzt die metaphysische lebende natura naturans außerhalb der zeitlichen Realität in eine außerzeitliche Sphäre.

Jedoch ist die Realität nicht nur angefüllt von der natura naturata. In den wirklichen Dingen der Natur steckt auch ein Stückchen von der außerzeitlichen natura naturans als ihre Seele. Alles im Universum wird so Ausdruck der unendlichen Substanz Gottes, wie er das außerzeitliche Absolute später nennt. In der natura naturata selbst gibt es keine Wesensunterschiede, sondern nur verschiedene Grade des Ausdrückens der absoluten Identität.

Da Schelling in verschiedenen Epochen im Einzelnen recht differenzierte Ansichten vertritt, ist eine eindeutige Einschätzung seiner Ansichten nicht einfach. Es lassen sich jedoch einige typische Merkmale betonen:

  • keine Wesensunterschiede der Dinge,
  • das Lebendige rührt von einem außerzeitlichen Absolen/Identischen/Substanz/Gott her.

Insofern werden einige Ableitungen und Analogien, die in Schelling einen Vorläufer der Selbstorganisations-Konzepte sehen wollen, doch recht fragwürdig. Die Selbst-Organisation sucht ja die Quellen der Entwicklung in den Dingen selbst und nicht in einem außerzeitlichen Absoluten.

Für die Diskussion ökologischer Zusammenhänge ist bedeutsam, daß es bei Schelling keinen Dualismus zwischen Natur und Mensch gibt, denn die nichtmenschliche Natur und die Menschheit sind nur verschiedene Stufen (unbewußt - bewußt) einer Tätigkeit.

Den Menschen kommt eine Aufgabe zu. Während die Natur anfänglich lange Zeit zuvor allein wirkte und deshalb immer wieder zurück ins Chaos fiel, muß der Mensch sich durch Liebe in der Natur und mit der Natur verwirklichen. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe hat der Mensch die Freiheit, auch zu versagen. Ein Aspekt des Versagens konstatiert Schelling in Bezug auf ihr Verhältnis zur Natur:

"Der Mensch hat seine Bestimmung nicht erfüllt. Er hätte die Natur dem Geist unterordnen müssen, herausgekommen ist das Gegenteil - die Natur, das Materielle begann über den Menschen zu herrschen, die Materie wurde ihm zu Gott. Die Schuld daran liegt in der Freiheit des Menschen begründet."

"Es ist im Bösen der sich selbst aufzehrende und immer vernichtende Widerspruch, daß er creatürlich zu werden strebt, eben indem er das Band der Creatürlichkeit vernichtet, und aus Uebermuth alles zu seyn, ins Nichtseyn fällt."

Schelling schlägt als Alternative aber nicht vor, daß sich der Mensch wieder der nichtmenschlichen Natur unterordnen solle.

"Nicht die Trennung der Kräfte an sich ist die Disharmonie,
sondern die falsche Einheit derselben."

Gegensätze müssen sein, "weil ein Leben seyn muß, denn der Gegensatz selbst ist das Leben..."

Die von Schelling betonte Einheit von Mensch und Natur geht also gerade nicht zu Lasten der menschlichen Autonomie, sondern begründet und legitimiert sie gerade damit, daß auch die Natur selbst autonom ist.

5. Das Ende der Logik bei Hegel

Hegels "Logik" entflieht der Zweiwertigkeit endgültig, indem seine Worte ihre Inhalte selbst weiterentwickeln lassen. Systematischer noch als Fichte und Schelling sucht er im Einheitlichen den Gegensatz und in diesem wieder neue Identitäten. Alles Unbestimmte wird bestimmt und die Bestimmungen negieren sich, was neue Bestimmungen hervorbringt usw....

Auch Hegel sieht deshalb in Entzweiungen einen notwendigen Faktor des Lebens, "das ewig entgegensetzend sich bildet".

Der Mensch ist wesentlich durch seinen Gegensatz gegenüber der nichtmenschlichen Natur bestimmt. Der Mensch ist insofern wesentlich Mensch, als er nicht Natur ist. Ist Hegel deshalb naturvergessen? Er zeigte viel weniger Kenntnis der Natur als Schelling. Schelling warf ihm auch vor, daß die Natur im System Hegels erst als Agonie des Begriffs am Ende der Logik auftaucht.

Ich möchte dies aber nicht so stehenlassen. Ich denke, daß man Hegel mitdenkend rezipieren soll - und da drängt sich eine andere "Logik" auf. In allen Schritten der Logik negiert Hegel zwar das Vorherige - aber in einer Art und Weise, die im Negieren das Alte auch "aufhebt". Wenn auch das Wesen des Menschen nicht durch die natürliche Kreatürlichkeit bestimmt ist - so ist er doch ein natürliches Wesen. Nur ist das für Hegel so selbstverständlich, daß er das nicht jedesmal noch mal sagt. Man hat es mitzudenken, wenn man "Negation der Negation" denkt. Ausgearbeitet ist dies systematisch dann nicht mehr --- aber unser Nicht-Weiterdenken muß ja nicht Hegel angelastet werden.

Die Hegelsche Dialektik kann meines Erachtens die Grundlage für das Verständnis einer schöpferischen Natur legen, die kein anderes Absolutes mehr braucht. Die inneren Widersprüche nämlich erzeugen Bewegung und Entwicklung, wobei sich Differenzierungen und Integrationen auf immer neuen Stufen gegenseitig vorantreiben. Dies ist für ein dynamisches ökologisches Weltbild wesentlich.

1.,2.9.96

siehe auch:




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