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Die Aliens sind unter uns...

Erschien in IRPO-EXPRESS 1/2/2000, Informationsblatt des Interessenkreises Phantastik und Raumfahrt Sachsen (IRPO), erhältlich über H. Kreutziger, Hintere Dorfstr. 9, 02791 Oderwitz : im gleichen Heft erschien eine äußerst empfehlenswerte Story von Helge Lange

Die meisten Machwerke unter dem Label "Science Fiction" ignoriere ich seit einigen Jahren. Der dort verbreitete Horror hat Methode. Er entläßt uns in eine Realität, zu der wir keine wünschenswerte Alternative mehr kennen sollen. Es kann ja alles nur noch schlimmer kommen, wenn uns nicht die muskelbepackten und waffenstarrenden Elitesoldaten vor den Sendboten des unendlichen Weltalls schützen. Vielleicht sind die Aliens ja schon unter uns?!

Ja, sie sind es. "Es ist die Erfahrung, daß Leute auf den ersten Blick aussehen wie normale Menschen, wie du und ich, einem fremden Programm folgen, einem feindlichen Programm, das sie als Angehörige einer fremden Gattung ausweist; daß ihre Solidarität nicht dir gehört, sondern einem fremden Auftrag. Sei sehen nur so aus wie Menschen. In Wirklichkeit sind es Aliens", schreibt Christoph Spehr in seinem neuen Buch "Die Aliens sind unter uns! Herrschaft und Befreiung im demokratischen Zeitalter" (München 1999). Er meint damit die Träger der modernen Herrschaftsform auf der Erde, bei der es letztlich nur darum geht, fremde Natur und Arbeit anzueignen und zu verhindern, daß Menschen und Menschengruppen ohne Öffnung gegenüber den zerstörenden Mächten der globalisierten Märkte überleben könnten. Die Herrschaft selbst ist unsichtbar geworden. Kein gekröntes Haupt macht es kenntlich; direkte Gewalt braucht nur noch in den seltensten Fällen offenbaren, wer wem unterlegen ist und bleiben soll. Die Aliens als ihre Funktionäre sehen aus wie Menschen, reden wie Menschen über Menschenrechte, Demokratie und Wohlfahrt - neuerdings eher mehr von "nachhaltiger" Konsum-Bescheidenheit und wie immer von "Effizienz". Sie reden uns ein, die Wucht der Weltökonomie nach ihren Regeln sei eine Art "Naturgesetz" ohne Alternative. Sie fesseln unsere Sinne in multimedialen Disneyland-Zukunftslandschaften auf ihrer Weltausstellung EXPO in Hannover. Monströse Bild- und Erlebnisräume sollen jedes Nachdenken über tiefere Zusammenhänge blockieren. Interaktivität statt Selbstbestimmung wird uns hier vorgeführt werden, fulminant gestylt von Stararchitekten und Szenographen. Auch inhaltlich werden nur technokratische Scheinlösungen geboten: Hunger soll mit Genfood begegnet werden, Arbeitslosigkeit mit lebenslangem Lernzwang, Bildungsnotstand durch die Herausbildung einer Wissenselite... Der Bezug auf "unser aller Verantwortung" soll uns auch alle einbinden in die vorgegebenen Lösungsstrategien - und damit die Herrschaft weiter bestärken. Diese EXPO zeigt, wie die "Aliens" im nächsten Jahrhundert auf der Erde vorzugehen gedenken: Mit Exklusivverträgen für die Großkonzerne - und Abfallrecycling und Notfallprogrammen für die Armen. Diese Zukunft kann nicht mehr "gestaltet" werden, auch nicht am "Runden Tisch". Diese Zukunft muß mit aller Macht, die wir entwickeln können, verhindert werden!

Setzen wir uns doch die Brille auf, die J. Carpenter 1988 in seinem Film "Sie leben" zur Unterscheidung von Menschen und Aliens erfunden hat. Aliens sind erkennbar: Aliens folgen blind dem Programm der Vernutzung von fremder Natur und Arbeit. Sie verfolgen dieses Ziel "nachhaltig" und bemühen sich, es "zukunftsfähig" zu machen. Nützlichkeit und menschliches Leben zählen nicht, wenn die Rendite ruft. Ein anderes Erkennungsmerkmal ist: Sie lassen uns nicht an jene Steuerungsmanuale, mit denen über unser eigenes Leben bestimmt wird. Dort stehen nur sie selbst und ihre gekauften Funktionäre und Verwalter. Sie entziehen uns jedes Stück Land, jede Stunde Lebenskraft, die wir nutzen könnten, uns von ihnen unabhängig zu machen. Was sie uns geben, dient dazu, uns weiter von ihnen abhängig zu machen: die Autos für die stundenlange Fahrt zum Job und Billigeinkauf, die Flugreise zur Hilfe beim Abhängigmachen und Ausbeuten fremder Länder. Sogar unseren eigenen Anteil an Produktionsmitteln (Computer etc.) erhalten wir, damit wir endlich zu Unternehmern unsrer eigenen Lebenskraft (für fremdgesetzte Zwecke) werden können.

So zivilisiert sich die "Aliens" bei uns zeigen mögen, so wohlhabend wir auch noch sein mögen, wir unterliegen strukturell den von ihnen gesetzten Bedingungen, die uns Demokratie als Spielwiese zuerkennen, aber keine Wahl lassen, aus ihren Regeln auszusteigen. Diese strukturell gegebene Erpressung, mit er wir zum Job oder Arbeitsamt gezwungen werden und die uns so abhängig von der Funktionsweise des Systems macht, wird bspw. thematisiert im ersten Film der Serie Voyager:

Der "Fürsorger" "versorgt und beschützt" die Zivilisation eines Planeten, weil er einst ihre natürlichen Lebensgrundlagen zerstört hat. Als er stirbt, kommen weder er noch die Voyager-Crew auf die Idee, den Menschen die bei der "Fürsorge" verwendeten Mittel (die "Phalanx") zu übergeben. Die Phalanx wird zerstört und die Leute bleiben sich selbst überlassen... Und das Star-Trek-Universum hat zwar nun endliche eine Frau als Captain, aber ein Fortschritt ist das nicht mehr, weil sie genau so handelt wie alle "Aliens", nur effektiver, weil gefühlvoller.

In dieser Serie werden andere Kräfte aus "Deep Space Nine" weitergeführt: der "Maquis". Aber nur um zu zeigen, wie sich die Crew des Maquis-Raumschiffes in die Sternenflotten-Alien-Struktur einpassen läßt. Die ganze Serie zeigt den Triumph der verfeinerten Herrschaft des Sternenflotten-Alienismus... Chakotey unterwirft sich Janeway und darf "Multikulti" spielen, aber nicht mehr aufmucken. So traurig das ist: das ist eine Widerspiegelung der Realität, auch in Bezug auf die Integration der Nichtregierungsorganisationen bei den weitgehend folgenlosen Umweltgipfeltreffen und so weiter.... Auch "Seven" verweigert sich zwar den Borg und stellt ihnen ihre Individualität entgegen - dem Captain der Sternenflotte stellt sie diese Individualität zur Verfügung - wie heute die innovativen und kreativen Arbeitskräfte den fremdbestimmten Unternehmenszielen.

Der "Maquis" selbst steht eigentlich für jene Zone, die nicht von den Aliens beherrscht wird ("der Busch" aus der frz . Résistance). Ihre Vertreter lassen sich in keins der Imperien integrieren. Im Idealfall gründet sich ihre sozia le Kooperation auf Emanzipation (d.h. die immer weiter gehende Befreiung von Herrschaft und Fremdbestimmung) und freie Kooperation (die für alle Beteiligten auf freier Wahl beruht und eine Form von Selbstbestimmung ist) (Spehr, S. 170). Dies unterscheidet sie von allen früheren Befreiungsbewegungen, die nach dem Sieg über die früheren Gegner selbst nicht nur die Macht, sondern auch die Herrschaft übernahmen - oft "im besten Willen", aber strukturell die Selbstbestimmung der Menschen verhindernd.

Zu den "FreundInnen des Maquis"!!!

Eine neue Grundregel lautet: Die Selbstbestimmung anderer darf niemals diszipliniert oder instrumentalisiert werden. Menschen dürfen einander, auch mit dem besten Wollen und Gewissen, niemals gegenseitig "als Instrumente" ansehen, sondern ihre Beziehungen müssen darauf beruhen, daß die Partner als Subjekte handeln. Im privaten Bereich führt das z.B. dazu, daß auch der Liebespartner seine Berechtigung nicht aus einem "Gebrauchtwerden" ableiten kann. Man kann einander nur als Subjekt lieben, unabhängig von einer "Funktion" des einen für den anderen oder von einer gegenseitigen Verwendung als "Instrument" irgendeiner Bedürfnisbefriedigung oder ähnliches. Wenn ich einen anderen "brauche", dann wird er zum Mittel meiner Bedürfnisbefriedigung. Kein Mensch sollte jedoch jemals nur ein Mittel sein, sondern sich selbst Zweck genug! Die gegenseitige Zuwendung wird dann nicht gespeist aus einer "gegenseitigen Ergänzung", sondern der unbedingten Anerkennung des Anderen, so wie er ist. Sie stellt keine Anforderungen an den anderen so zu sein, wie ich ihn brauche. Er darf auch anders bleiben (vgl. auch Rudolph).

Die Forderung nach Intersubjektivität führt im politischen Bereich auch dazu, daß es keine objektivierbare, für alle gemeinsam gültige "Gleichheit" und "Gerechtigkeit" geben kann, denn die Subjekte sind und bleiben verschiedene menschliche Individuen!

Neben, bzw. zwischen diesen Herrschaftsträgern und -funktionären und dem "Maquis" gibt es aber eine Menge "normaler Leute", die "einfach nur vor sich hin leben, ohne zu überblicken, was vor sich geht". Sie wollen das auch gar nicht, denn ihnen geht es zwar nicht wie den "Aliens" um Profit, sondern nur um ihre ungestörte Bequemlichkeit. "Sie achten sorgsam darauf, nichts zu lernen, was ihre Bequemlichkeit gefährden könnte" (S. 174). Als "Zivilisten" haben sie auch gar kein Problem damit, daß die Entscheidungen von anderen getroffen werden (S. 167f.). Zumindest, solange es einigermaßen gut geht. Aber es geht nicht mehr gut. Ihre kleinen Welten brechen immer mehr zusammen. Autostaus, Arbeitslosigkeit, Rentenunsicherheit, Umweltkatastrophen... Die viel gezeigten Horrorfilme steigern diese alltäglichen Katastrophen bis hin zum Zusammenbruch des gesamten Lebenszusammenhangs. Das Verhalten der Zivilisten ist das eigentliche Problem des Maquis. Die Aliens wird man schon besiegen können - aber was passiert dann mit den vielen "Zivilisten"? Wenn nur ihre Bequemlichkeit nicht gestört wird, würden sie dem früheren Maquis ja sogar wieder die Verantwortung für sich übertragen wollen.... Aber genau das widerspricht den Zielen des Maquis, der eine Welt anstrebt, in der alle Menschen selbstbestimmt ihre Kooperationen und ihr Leben gestalten. Sie werden selbst neue Wege beschreiten müssen - der Maquis darf sie aber nicht einmal dahin drängen wollen! Es bleibt dann nur die Hoffnung darauf, daß das menschliche Streben nach Selbstentfaltung auch bei ihnen noch nicht völlig erstickt und verdrängt wurde, sondern dann durchbricht, in welchen Formen auch immer.

Ich werde demnächst wieder mehr "SF" konsumieren. Ich denke, sie spiegelt recht gut das wieder, was passiert. Manchmal sicher eher gegen den Willen ihrer Autoren und Akteure. Die Verlagerung der harten irdischen Probleme in fiktive Welten oder Zukünfte hat auch einen Vorteil: Sogar ungewollt werden gewohnte Denklogiken aufgebrochen. Das Verrückte dieser Welt kann nicht als "selbstverständlich gegeben" unterstellt werden, sondern muß in der Konstruktion des Irrealen neu begründet werden - wobei offensichtlich wird, daß es keinen vernünftigen Grund für diese Art Weltordnung gibt. Eher ungewollt stecken in vielen Botschaften oft auch Chiffren, die sich "gegen den Strich" lesen und interpretieren lassen.

Literatur:
EXPO, verschiedene Werbematerialien und Information unter http://www.expo.de
Anti-Expo-Infos:
http://www.expo-no.de
Rudolph, I., Umbrüche und ein drittes Kind, Frankfurt 1998
Spehr, C., "Die Aliens sind unter uns! Herrschaft und Befreiung im demokratischen Zeitalter", München 1999

 

 

Mehr über Spehrs Buch "Die Aliens sind unter uns..." (ausführlicher Konspekt)

A New Mission For Emancipation. Notizen zur Social Sience Fiction von Christoph Spehr (Dirk)

Zu weiteren Texten über Utopische Literatur ("SF")

Mehr Rezensionen und Meinungen zum Buch von C. Spehr

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